Syrien: Schlagabtausch Russland-USA

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Nach einem irrtümlichen US-Angriff auf syrische Truppen herrscht dicke Luft zwischen Moskau und Washington. Die Waffenruhe ist in Gefahr, die Kämpfe flammen auf.

Kairo. Der in Genf geschlossene Waffenstillstand für Syrien hängt an einem seidenen Faden. Ein anscheinend irrtümlicher Luftangriff von US- und australischen Kampfflugzeugen auf syrische Truppen nahe der Stadt Deir ez-Zor führte zu einem heftigen diplomatischen Schlagabtausch zwischen den USA und Russland. Die im Vertrag vereinbarten humanitären Hilfstransporte für den Osten Aleppos und die übrigen 15 Hungerenklaven der Aufständischen werden vom Assad-Regime nach wie vor blockiert. An vielen anderen Orten flammten die Kämpfe gestern, Sonntag, wieder auf.

Ausgelöst wurde die jüngste Krise am Samstagnachmittag durch eine Attacke von US-amerikanischen sowie australischen Flugzeugen der Typen F-16 "Fighting Falcon", F-18 "Hornet" und A-10 "Thunderbolt" auf eine gepanzerte Einheit, die die Piloten für eine Kolonne des Islamischen Staats hielten. Sämtliche Fahrzeuge wurden zerstört, die fliehenden Besatzungen aus der Luft beschossen. Nach russischen Angaben starben 62 syrische Soldaten, über hundert wurden verletzt. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach sogar von 90 Toten und 120 Verletzten. Es war der erste westliche Angriff auf syrische Truppen seit Beginn des Bürgerkriegs vor mehr als fünf Jahren.

Demonstrativer Protest in der UNO

Auf einer kurzfristig für Samstagabend einberufenen Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats verließ Russlands UN-Botschafter, Vitaly Churkin, bei Ankunft seiner amerikanischen Kollegin, Samantha Power, demonstrativ den Saal. Er bezeichnete den US-Angriff als „ausgesprochen verdächtig“. Dagegen schloss Igor Konaschenkow, Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, nicht aus, dass die Attacke ein Versehen war, und machte „die sture Weigerung der USA, sich im Kampf gegen die Terroristen mit Russland zu koordinieren“ für den blutigen Vorfall verantwortlich.

Die Regierungen der USA und Australiens bedauerten ihren Irrtum, der zum Verlust von Menschenleben geführt habe. Ein Sprecher des Pentagon erklärte, man habe dieses Bedauern via Russland auch an Syrien übermittelt. Die USA würden sich weiterhin an die Waffenruhe halten und zugleich die Terrormiliz IS bekämpfen.

Washingtons UN-Botschafterin Power warf Churkin Effekthascherei und billige Punktemacherei vor. „Selbst nach russischen Standards ist die Nummer von heute Abend auf einzigartige Weise zynisch und scheinheilig“, erklärte sie. Die Diplomatin empört vor allem, dass Russland ausgerechnet jetzt auf eine Dringlichkeitssitzung poche, seit 2011 jedoch die unzähligen Luftangriffe des syrischen Regimes auf die eigene Bevölkerung nie beanstandet, geschweige denn zum Thema eines UN-Sondertreffens gemacht habe.

Das US-Zentralkommando in Qatar erklärte, seine Kampfflugzeuge hätten die Operation sofort abgebrochen, nachdem man von russischer Seite alarmiert worden sei, dass möglicherweise syrische Regierungssoldaten bombardiert würden. Die Situation vor Ort sei „komplex“, doch die „Koalitionskräfte würden keine syrische Einheit absichtlich angreifen“, hieß es in dem Text.

IS nimmt syrische Jets unter Feuer

Die Stellungen der Assad-Armee liegen im Umkreis des Militärflughafens der Stadt Deir ez-Zor im Osten, wo das Regime nur noch kleine Gebiete kontrolliert. Seit Wochen versuchen Jihadisten des IS, die Berge um den Flughafen zu erobern, um startende und landende syrische Militärjets unter Feuer nehmen zu können und so den Nachschub für die eingeschlossenen Armeeteile und Wohnviertel zu kappen. Nach Angaben aus Damaskus konnte der IS nach dem irrtümlichen Angriff der US-Koalition für einige Stunden Gelände gewinnen, inzwischen jedoch habe die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung die alten Frontlinien wieder hergestellt.

Bei den humanitären Hilfslieferungen für die im Osten Aleppos eingeschlossenen rund 250.000 Menschen und die anderen Hungerenklaven gab es weiterhin keine Fortschritte. Als ein Kernpunkt war in Genf vereinbart worden, dass die syrische Armee während der zunächst siebentägigen Feuerpause den nördlichen Korridor über die Castello-Straße und den südwestlichen Zugang über das Ramouseh-Viertel räumen muss. Stattdessen sollen russische Soldaten die Kontrollen an den Straßensperren übernehmen.

Offensive nördlich von Hama

Doch auch am siebten Tag gab es keinerlei Anzeichen, dass das Regime seine Truppen zurückziehen und die Versorgungswege freigeben will. Stattdessen warf Russland den Rebellen vor, sie hätten die Feuerpause bisher 199 Mal gebrochen und bereiteten nördlich der Stadt Hama eine größere Offensive vor. Präsident Wladimir Putin erklärte, die USA täten nichts, um die radikalen von den moderaten Rebellen zu entflechten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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