Eine Wahl ohne Skandal und aktive Bürgerbeteiligung

(c) REUTERS (GRIGORY DUKOR)
  • Drucken

Kreml-Partei Einiges Russland wird wohl den Sieg davontragen. Die Wahlbeteiligung blieb sehr niedrig.

Es sollten Wahlen ohne Skandale werden, transparent, fair, ruhig. Bei der gestrigen Duma-Wahl blieb es in vielen Wahllokalen gar ruhig. Die Wahlbeteiligung lag um 15 Uhr landesweit bei 33 Prozent, in Moskau bei nur 19 Prozent. 111 Millionen Russen konnten ihre Stimme abgeben. Ein Sieg der Kreml-Partei Einiges Russland wurde erwartet. Ein Einzug der Kommunisten, der sozialdemokratisch orientierten Partei Gerechtes Russland und der nationalistischen Liberaldemokraten galt als sicher. Nach Auszählung von 25 Prozent der Stimmzettel kam die Partei auf 51 Prozent, wie die zentrale Wahlkommission am Sonntag mitteilte. Auf Platz zwei landete die rechtsextreme LDPR von Wladimir Schirinowski mit 15,1 Prozent, gefolgt von der Kommunistischen Partei mit 14,9 Prozent.

Insgesamt waren 14 Parteien zugelassen.
Auch in der Wahlkommission Nummer 399 in einem Wohnviertel im Norden Moskaus trafen gestern nur vereinzelt Bürger ein. Es waren vor allem ältere Menschen, die hier ihre Stimme abgaben – eine „Staatsbürgerpflicht“, wie eine 82-Jährige erklärte, die für die nationalkonservative Kleinpartei Rodina (Mutterland) stimmte, die ebenfalls Chancen auf einen Duma-Sitz hatte. Eine andere betagte Wählerin machte sich über korrupte Beamte Luft und kündigte an, die Kommunisten wählen zu wollen. „Mit dieser Partei bin ich aufgewachsen.“

Während Pensionisten und Angestellte des öffentlichen Sektors, Staatsbeamte und Militärs wie gewohnt zu den Urnen schritten, blieben viele andere Bürger den Wahllokalen fern. In den sozialen Netzwerken lieferten sich Befürworter und Gegner der Stimmabgabe Duelle. Unter dem Hashtag #IchHabeNichtGewählt erklärte eine junge Frau, die Abstimmung sei sowieso „sinnlos“. Befürworter betonten, es sei wichtig, zumindest irgendeine Kraft zu unterstützen, die nicht im Unterhaus sitze.

Rückzug von politischen Prozessen

Nach der Niederschlagung der Protestbewegung von 2011, die aufgrund von Wahlfälschungen bei der letzten Duma-Wahl entstanden war, schränkte der Kreml den Raum für öffentliche Artikulation drastisch ein. Viele Gebildete und Städter, die vor fünf Jahren für faire Wahlen demonstriert hatten, zogen sich zurück. Dass die Behörden dieses Mal einen relevanteren Wahlkampf versprachen, hat sie nicht zu den Urnen gelockt. Die Hälfte der 450 Sitze wird künftig von direkt gewählten Kandidaten besetzt. Doch auch hier wird eine Dominanz von Mandataren erwartet, die Einiges Russland zuzurechnen sind. Fazit: eine leichte Öffnung des Systems, das dennoch die Kontrolle nicht aus der Hand gibt. Die Politologin Ekaterina Schulmann erwartet zumindest mehr „Vielfalt“ durch den eventuellen Einzug einer fünften Kraft und durch womöglich unvorhersehbares Verhalten der Direktmandatare. Ein klein wenig weniger Berechenbarkeit für die nächste Legislaturperiode also.

Wenig Chancen für Opposition

Gegen Kandidaten der außerparlamentarischen Opposition dürften sich Regierungskandidaten in fast allen Fällen durchgesetzt haben. Der Oppositionskandidat Wladimir Ryschkow beklagte, dass in seinem Wahlkreis im sibirischen Altai-Gebiet Studenten für eine mehrfache Stimmabgabe bezahlt würden. Auch der Einzug Dmitrij Gudkows, des Ex-Mitglieds von Gerechtes Russland, in Moskau war unklar. Der liberale Politiker, der nun für die Oppositionspartei Jabloko antrat, hatte zuletzt von Geldproblemen, Einschüchterung und „schwarzer PR“ berichtet, die gefälschte Wahlplakate mit US-Fahne im Hintergrund zeigten.

Die neue Chefin der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, hatte vor dem Wahltag mit ihrem Rücktritt gedroht, sollte es zu Fälschungen kommen. „Dies ist mein Land, und ich will, dass es hier normal zugeht“, hatte sie unter Tränen erklärt. Pamfilowas Besetzung gilt ebenfalls als Versuch, Transparenz zu signalisieren. Ob sich das Signal auf allen Ebenen durchsetzt, bezweifeln Experten. Der Einsatz staatlicher Ressourcen für Regierungskandidaten ist übliche Praxis.

Die Wahlbeobachterorganisation Golos registrierte bis zum späten Nachmittag mehr als 3000 Verstöße gegen das Wahlgesetz. In Moskau konnte man beobachten, wie ein Kleinbus ein Dutzend Männer zu einem Wahllokal brachte – Indiz für organisierte Abstimmungen oder sogenannte Karussellfahrten zu mehreren Wahllokalen. Auf Kameraaufnahmen war zu sehen, wie in einem Wahllokal in Rostow am Don Packen von Stimmzetteln in eine Urne gestopft wurden. Es ist unklar, ob die Verstöße zu einem Aufschrei wie vor fünf Jahren führen werden. Für Wladimir Putin war der Tag ein wichtiger Stimmungstest vor den Präsidentenwahlen 2018. Ein gutes Resultat von Einiges Russland festigt sein Regime. Oder birgt die Versteinerung des Systems auch Risken? Oppositionskandidat Gudkow hatte jedenfalls im Gespräch mit der „Presse“ im Frühling düster prophezeit: „Wenn sich nun erneut ein Parlament ohne Opposition formiert, dann ist allen klar, dass der Machtwechsel nicht mittels Wahlen stattfinden wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

In Russland bleibt nach Wahl alles wie gehabt

44,5 Prozent sollen ersten Prognosen zufolge an die Kremlpartei gehen. Nationalisten und Kommunisten liefern sich Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz.
Wladimir Putins Reformeifer liegt zehn Jahre zurück. Heute stützt sich das Regime geradezu auf Strukturmängel.
International

Putin ohne Output

Außenpolitisch steht der Kreml-Chef seinen Mann. Zu Hause aber nützt er seine Beliebtheit nicht, um das Land mit Reformen vor einer Katastrophe zu bewahren. Das hat Kalkül.
Russland wählt ein neues Parlament.
Außenpolitik

Russland wählt ein neues Parlament

Inmitten einer tiefen Rezession will die Regierungspartei Geeintes Russland Putins Macht festigen. Erste Fälschungsvorwürfe sind bereits laut geworden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.