UNO: Obamas letzte Rede an die Welt

US-Präsident Barack Obama in seiner achten und letzten Rede vor dem voll besetzten Plenum der UNO-Generalversammlung.
US-Präsident Barack Obama in seiner achten und letzten Rede vor dem voll besetzten Plenum der UNO-Generalversammlung. (c) AFP
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Der US-Präsident verabschiedete sich mit einem Professorenplädoyer für das liberale Modell von der UN-Vollversammlung, UN-Chef Ban mit einem überraschend leidenschaftlichen Aufruf.

New York. „Nessun Dorma“ – Keiner schlafe. Ein passendes Motto dieser Veranstaltung. Zum Auftakt der 71. Generalversammlung donnerte der blinde Opernsänger Andrea Bocelli die „Turandot“-Arie in den Sitzungssaal der Vereinten Nationen. Es war ein Tag der Abschiede. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hielt nach zehn Jahren im Amt seine letzte Rede auf der Weltbühne, es war wahrscheinlich seine beste. Denn sie war voller Leidenschaft.

Wütend geißelte der sonst so zurückhaltende Südkoreaner die Blockierer in den UN-Gremien, die Verantwortlichen für die Weltkrisen vom Nahen Osten und der Ukraine bis in den Südsudan und Nordkorea, den Stillstand und die „zehn verlorenen Jahre“ im israelisch-palästinensischen Friedensprozess. An einer Stelle wandte er sich direkt an die Unterstützter der Kriegsparteien in Syrien. „In diesem Raum sind Patrone, die Blut an in ihren Händen haben.“ Namen nannte er nicht. So weit wollte er dann doch nicht gehen.

Wie eine dunkle Wolke legte sich am Dienstag die neuerliche Eskalation in Syrien über die Generalversammlung. Am Vortag war ein Hilfskonvoi der UNO und des Roten Kreuzes angegriffen worden: 18 von 30 Lastwägen wurden zerstört, 20?Helfer sind tot. „Das waren Helden. Doch die Täter waren Feiglinge“, rief Ban Ki-moon und verkündete, dass die UNO nun leider acht Hilfslieferungen stoppen müsse.

Krisentreffen zu Syrien

Es stand alles auf dem Spiel. Bricht die russisch-amerikanische Verhandlungsachse, dann erlischt auch die letzte Friedenshoffnung für Syrien. Am Dienstag steckten die 20?Außenminister der Syrien-Unterstützergruppe die Köpfe zusammen. Was als Impuls-Meeting für Friedensverhandlungen gedacht war, endete als Krisentreffen.

Gerne hätte sich US-Präsident Barack Obama vor der Vollsammlung für den Waffenstillstand in Syrien feiern lassen, den US-Außenminister John Kerry vor eineinhalb Wochen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ausverhandelt hatte. Doch die Vereinbarung hielt nicht. Und Russland und die USA überwarfen sich nach Luftangriffen der US-geführten Koalition auf Stellungen des syrischen Regimes. Versuchte Obama noch am Dienstag zu retten, was noch zu retten ist? Schritt er deshalb eine halbe Stunde verspätet vor die grün marmorierte Steinwand, um zum achten und letzten Mal das Wort vor der UNO zu ergreifen?

Obama hielt eine Rede in luftigen Höhen, ein Professorenplädoyer für Globalisierung und gegen Kapitalismusexzesse und soziale Ungleichheit, für Toleranz und gegen Rassismus, gegen Abschottung und für freien Handel. „Eine von Mauern umringte Nation würde sich heute nur selbst einsperren“, sagte er in Anspielung auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Offene Märkte, Recht und Demokratie, so Obama, blieben die besten Garanten für Fortschritt im 21. Jahrhundert. Das alles hörte sich wie eine Verteidigungsphilippika für das liberale Modell gegen auftrumpfende Autokraten und Populisten an.

Die Ära der Imperien sei vorbei, so Obama. Verlorene Ehre lasse sich nicht Gewalt zurückgewinnen, sagte er und erwähnte dabei Russland. „Die Welt ist zu klein, um zu alten Denkmustern zurückzukehren.“ Ein verengtes ethnozentrisches und fundamentalistisches Weltbild liege auch vielen Problemen in Nahost zugrunde. Bei der Zerstörung der Terrormiliz IS müsse die Welt geschlossen vorgehen. Doch für Syrien gebe es keine militärische Lösung, da müsse man verhandeln. Noch einmal legte der US-Präsident?ein Bekenntnis zum Multilateralismus ab, zur Zusammenarbeit mit anderen Staaten.

Was hatte der Mann nach dem Unilateralisten und Kriegsabenteurer George W. Bush für Hoffnungen geweckt. Nichts weniger als eine bessere Welt versprach er, sogar eine atomwaffenfreie. Frieden zwischen Israel und den Palästinensern in Nahost sei in nur einem Jahr möglich, verkündete er 2010. Es kam bekanntlich anders. Obama hinterlässt eine desaströse Bilanz in Nahost. Dem Arabischen Frühling folgte ein bitterer Winter. Als Erfolg kann sich der scheidende Präsident einzig das Atomabkommen mit dem Iran an seine Fahnen heften, aber auch über diesen Deal wird erst die Geschichte ihr Urteil fällen.

Diplomaten fragen sich, ob Obama vor dem Ende seiner Amtszeit noch einen Anlauf starten wird, um sich in die Geschichtsbücher einzutragen. Heute, Mittwoch, will er Israels Premier, Benjamin Netanjahu, treffen. An ihm hat sich der US-Demokrat schon mehrmals die Zähne ausgebissen. Doch unlängst gab Obama grünes Licht für die bisher höchste US-Militärhilfe für Israel: im Wert von 38 Milliarden Dollar bis 2028. Wird sich Netanjahu im Gegenzug mit den Palästinensern an einen Tisch setzen?

Es war viel von Krieg, Leid und Armut die Rede zu Beginn der Generalsversammlung. Doch Ban Ki-moon versuchte auch Lichtblicke aufzuzeigen, wie den Friedensschluss in Kolumbien. „Nach zehn Jahren im Amt glaube ich noch immer, dass wir es in der Hand haben, Krieg und Armut zu überwinden“, sagte der UN-Generalsekretär.

Kanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz trafen den Südkoreaner am Dienstag gemeinsam. Kurz hatte danach Gespräche mit den Außenministern Moldaus, Libyens und Pakistans. Dabei ging es um Migration. 88 Prozent der Flüchtlingsboote, die in Italien landen, legen in Libyen ab. Bei einer Pressekonferenz mit Kern kritisierte Kurz, dass Italien Flüchtlinge von Lampedusa aufs Festland schaffe. So entstehe ein Sog.

Obama-Tag für Kern

Für Kern war es ein Obama-Tag. Nach dem Treffen mit Iraks Premier, Haider al-Abadi, vertrat der Kanzler Österreich beim Flüchtlingsgipfel, zu dem der US-Präsident Regierungschefs betroffener Staaten gebeten hatte. Dort wollte Obama kundtun, dass die USA im nächstes Jahr 110.000 Flüchtlinge aufnehmen werden, 2015 waren es nur 10.000 Syrer und aus als allen Krisenherden zusammen 85.000 Asylwerber. Und Kern hatte vor, einen Marshall-Plan für Afrika einzufordern. Am Abend war der Kanzler zum Empfang eingeladen, den Barack und Michelle Obama im Lotte New York Palace Hotel gaben. Für ihn war es eine Premiere, für den US-Präsidenten ein Abschied.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

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