Der von der Opposition kontrollierte Osten der syrischen Stadt liegt unter Dauerbeschuss.
Kairo/Damaskus. Die Waffenruhe für Syrien liegt in Trümmern, das syrische Regime verwandelt Aleppo in ein Inferno. Rund um die Uhr greifen syrische und russische Kampfflugzeuge die eingeschlossenen 250.000 Bewohner an, um den von Rebellen gehaltenen Osten der Stadt in den nächsten Tagen sturmreif zu schießen. Augenzeugen sprechen von den schlimmsten Stunden, die sie je erlebt hätten. Ganze Straßenzüge stehen in Flammen. „Die Angriffe sind so fürchterlich, es ist einfach unbeschreiblich“, sagte ein Sprecher der Weißen Helme – der syrischen Hilfsorganisation, die am Donnerstag in Stockholm mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden waren.
Bereits Stunden nach der Ehrung zerstörte das syrische Regime drei ihrer vier Einsatzzentren in Aleppo, der Krankenwagen und das Feuerwehrauto der Ersthelfer sind nun Schrott. Zugleich kündigte der syrische Generalstab eine Großoffensive gegen die geteilte Stadt an, während die Lebensmittel für die eingeschlossenen Menschen an der türkisch-syrischen Grenze verrotten.
„Treffen war enttäuschend“
In New York trafen sich in eisiger Atmosphäre die Staaten der Syrienkontaktgruppe. Ihr gehören neben den USA und Russland wichtige europäische Mächte, die Nachbarn Syriens und die regionalen Gegner im Syrienkonflikt an. Die Diplomaten gingen ohne Ergebnis auseinander, nachdem sich die russische Seite kategorisch geweigert hatte, die Angriffe der eigenen und der syrischen Luftwaffe auf die Zivilbevölkerung zu stoppen. „Das Treffen war lang, schmerzhaft und enttäuschend“, erklärte UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura. Stattdessen stehe Aleppo wieder unter Beschuss. Im Hinblick auf eine mögliche neue Waffenruhe seien die nächsten Stunden oder Tage ausschlaggebend – „entweder sie schaffen es, oder alles ist kaputt“.
Russische Splitterbombe?
Derweil bekräftigen die USA ihren Vorwurf, dass syrische und russische Kampfflugzeuge für den Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi im Städtchen Uram al-Kubra westlich von Aleppo verantwortlich seien. US-Generalstabschef Joseph Dunford erklärte vor dem US-Senat, in der Bombennacht seien russische und syrische Kampfflugzeuge über dem Gebiet gewesen. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Russen verantwortlich sind, ich weiß nur nicht, welche der Flugzeuge die Bomben geworfen haben“, so Dunford. Anders als von Moskau behauptet, hätten sich weder Drohnen noch Flugzeuge der westlichen Anti-IS-Koalition in der Region Aleppo aufgehalten.
Ein Indiz sind auch die Reste eines russischen Sprengkörpers, die Helfer in einem Einschlagskrater in der Lagerhalle des Syrischen Roten Halbmondes fanden. Splitterbomben dieses Typs werden in Syrien nur von Russen und Syrern eingesetzt.
AUF EINEN BLICK
Syriens Regime von Machthaber Bashar al-Assad versucht offenbar, die nordsyrische Stadt Aleppo völlig unter seine Kontrolle zu bringen. Der von Aufständischen kontrollierte Osten der Stadt, in dem noch 250.000 Menschen leben, liegt unter schwerem Feuer. Syrische und russische Flugzeuge greifen die Rebellenviertel massiv aus der Luft an. Die Attacken sollen laut syrischem Militär eine Bodenoffensive vorbereiten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)