Fernsehgeschöpf gegen Politikinsiderin, Bauch gegen Kopf, Mann gegen Frau: Die erste Fernsehkonfrontation von Donald Trump und Hillary Clinton wird die Nagelprobe für beide Kandidaten.
90 Minuten in einem Hörsaal der Hofstra University auf Long Island, unterteilt in sechs Abschnitte, lose überspannt von den Generalfragen, in welche Richtung Amerika gehen soll, wie Wohlstand erworben und Sicherheit gewährleistet werden soll: Das erste Aufeinandertreffen von Hillary Clinton und Donald Trump als Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner in der Nacht auf Dienstag wird voraussichtlich von mehr Amerikanern direkt verfolgt werden als jede Präsidentendebatte bisher.
Wobei das Wort Debatte kaum auf das Geschehen der von ABC News produzierten Konfrontation zutrifft. Etwas zu debattieren heißt schließlich, sich mit Worten zu schlagen. Doch um das Gesagte wird es zwischen Clinton und Trump viel weniger gehen als um das Gezeigte. „Die akkurateste Weise, um die Reaktion auf eine Debatte herauszufinden, ist den Ton abzudrehen“, hält James Fallows in einem langen Essay in der aktuellen Ausgabe des „Atlantic“-Magazins fest.
Fallows hat am eigenen Leib erfahren, wovon er spricht. Als früherer Redenschreiber von Präsident Jimmy Carter saß er, bildlich gesprochen, in der ersten Reihe fußfrei, als dessen republikanischer Herausforderer, Ronald Reagan, ihn vor laufenden Kameras mit allen Mitteln der als Hollywood-Schauspieler erlernten Fernsehkunst zerlegte. „There you go again“, also „Das schon wieder“, lautete Reagans wiederholter Stoßseufzer auf Carters Vorstöße im Jahr 1980. „Die genauen Worte waren weniger wichtig als das Bild des entspannten, zuversichtlichen Reagan gegenüber dem dünnlippigen Carter, der wirkte, als sei ihm eine Laus über die Leber gelaufen“, schreibt Fallows.
Trump ist kein Reagan und Clinton kein Carter, doch im Grunde genommen hat sich an den Zielen für die beiden heutigen Kandidaten wenig geändert. Trump muss versuchen, von seiner nachweislichen Unkenntnis der Verfassungsgrundsätze der Vereinigten Staaten sowie wesentlichen wirtschafts- und außenpolitischen Ahnungslosigkeit und seinen dokumentierten Ausfälligkeiten gegenüber Frauen, Nichtweißen, Behinderten und Muslimen dadurch abzulenken, dass er sich als glaubwürdiger Vertreter einer politischen und gesellschaftlichen Kehrtwende präsentiert. Denn rund zwei Drittel der Amerikaner geben in Umfragen an, ihr Land befinde sich auf einem Holzweg.
Trump muss sich im Zaum halten . . .
Wenn es Trump am Montagabend gelingt, seine Emotionen zu zügeln, auf vulgäre Ausfälligkeiten zu verzichten, wie sie ihm in den Vorwahldebatten mehrfach herausgerutscht sind, und keine allzu peinlichen Wissenslücken zu offenbaren, kann er in den Augen der vielen Wähler, die ihn nun zum ersten Mal genau ins Auge fassen, durchaus passabel erscheinen. Und das könnte angesichts einer Gegnerin, die ihm an Unbeliebtheit im Volk kaum nachsteht, reichen.
. . . Clinton muss Floskelpanzer ablegen
Während das Fernsehgeschöpf Trump seine Affekte im Zaum halten muss, geht es für die Politikinsiderin Clinton darum, den in jahrzehntelangen Anfeindungen geschmiedeten Panzer aus Floskeln, Juristenkauderwelsch und Technokratensprech abzulegen. Selbst Clintons Gegner sprechen ihr enorme Fachkenntnis zu. Doch wenn sie ebenso pikiert und hochmütig über die Bildschirme flimmert, wie es Al Gore, der Vizepräsident ihres Gatten Bill, im Jahr 2000 beim Redestreit mit George W. Bush tat, wird sie das Image einer abgehobenen Karrieristin bekräftigen.
Gelingt es ihr jedoch, Trump an einem seiner vielen wunden Punkte zu erwischen, ohne arrogant oder neunmalklug zu wirken, wird sie in der Wahrnehmung vieler Zuschauer das Bild einer kompetenten Staatsfrau hinterlassen, der man die Schlüssel zum wichtigsten Büro der Welt getrost überreichen kann – auch wenn man ihre persönliche Lebensführung nicht immer gutheißt.
AUF EINEN BLICK
Weitere Infos:www.diepresse.comIn der Nacht auf Dienstag treten Hillary Clinton und Donald Trump erstmals vor Kameras gegeneinander an. Facebook überträgt live. US-Korrespondent Oliver Grimm analysiert die Debatte auf diepresse.com und begleitet sie auf Twitter (@grimmse).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2016)