Zwangsarbeit: Wie Polen der Diktatur in Nordkorea hilft

A worker stands behind a machine during a government organised visit for foreign reporters to the Pyongyang 326 Electric Cable Factory in Pyongyang
A worker stands behind a machine during a government organised visit for foreign reporters to the Pyongyang 326 Electric Cable Factory in Pyongyang(c) REUTERS (DAMIR SAGOLJ)
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Das Kim-Regime setzt Arbeiter im Ausland gezielt zur Devisenbeschaffung ein. Auch Polens Staatsfirmen greifen darauf zurück.

Gdynia. Schichtwechsel an der Tschechoslowakischen Straße in Gdynia (deutsch: Gdingen) bei Danzig: Polnische Arbeiter mit umgehängten Schweißerbrillen gehen schweren Schrittes in Gruppen die paar hundert Meter von der Werft Crist zur Reparaturwerft Nauta. Sprechen will keiner, schon gar nicht mit der Auslandspresse. Offener ist eine Gruppe von Ukrainern, die schon Feierabend hat. Die vier Werftarbeiter verabschieden sich aber schnell, nachdem das Gespräch auf die Arbeitskollegen aus Nordkorea kommt.

Mehr zu berichten weiß die Verkäuferin am nahen Imbissstand. „Die Asiaten werden zu Randzeiten in Bussen in die Werften gefahren“, sagt sie. Auch ein Wachmann bei den Werfttoren will viele Koreaner gesehen haben, ob aus Nord- oder Südkorea, weiß er nicht.

Polen und Malta in der Kritik

Seit das lokale Internetportal trojmiasto.pl Hinweisen auf nordkoreanische Vertragsarbeiter in der staatlichen Mars Shipyeard & Offshore Gruppe nachgegangen ist, wird das heikle Thema im Gdingener Hafen totgeschwiegen. Laut der südkoreanischen Menschenrechtsgruppe Database Center for North Korean Human Rights (NKDB) ist Polen neben Malta das einzige EU-Land, das trotz der Sanktionen immer noch Arbeitsbewilligungen an Nordkoreaner erteilt. Tschechien, Rumänien und Bulgarien haben die Anstellung nordkoreanischer Arbeiter vor ein paar Jahren verboten.

Die Menschenrechtsgruppe NKDB hat bei Feldstudien in Polen Ende 2015 festgestellt, dass die Nordkoreaner durchschnittlich 62 Stunden pro Woche arbeiten müssen und dafür 82 Dollar sowie täglich drei Essensrationen auf billiger Reisbasis bekommen. Ihre Unterkünfte dürfen sie nur sonntags und nie allein nach der obligaten Selbstkritik und ideologischen Unterweisung verlassen.

Insgesamt setzte die Diktatur von Kim Jong-un laut NKDB 2014 mindestens 50.000 Zwangsarbeiter in mehr als 20 Ländern als Devisenbeschaffer ein, indem es einen Großteil ihres Lohnes einbehielt – unter anderem, um sein Atomprogramm zu finanzieren. Drei Anfragen der linken Abgeordneten Thomas Händel und Kati Piri im EU-Parlament zu den Nordkoreanern in Polen und Malta haben in den vergangenen zwei Jahren keine Resultate gebracht. Wie viele Nordkoreaner heute genau in Polen arbeiten, weiß niemand.

Laut dem polnischen Außenministerium wurden 2015 nur 156 Visa an Nordkoreaner vergeben. Im selben Jahr sollen laut dem Arbeitsministerium in Warschau dagegen 482 Arbeitsbewilligungen an Nordkoreaner ausgestellt worden sein. Sie betreffen nicht nur die Werften, sondern auch Baufirmen und die Landwirtschaft. NKDB-Untersuchungen gehen für Ende 2015 von rund 800 nordkoreanischen Zwangsarbeitern in Polen aus.

„Sehr gute Fachleute“

Die Nordkoreaner arbeiten also ganz legal in Polen, wovon auch die staatliche Werftengruppe Mars in Gdynia profitiert. „Arbeiter aus Nordkorea gelten als sehr gute Fachleute“, heißt es in einer von trojmiasto.pl zitierten Stellungnahme. Berichte des NKDB und anderer Menschenrechtsorganisationen, wonach die Arbeiter bis zu 90 Prozent ihres Lohnes an das Regime in Pjöngjang abliefern müssen, kontert Mars mit der Beteuerung, der ganze Lohn werde den Arbeitern auf ein individuelles Bankkonto überwiesen. „Dies haben uns die entsprechenden Subunternehmer versichert“, heißt dort. Nachprüfen lässt sich das kaum, unter anderem weil das Outsourcing von Arbeitsschritten ein undurchsichtiges Geflecht von Subunternehmen und Vermittlungsfirmen anzieht.

Vor allem Schweißer werden im Raum Danzig händeringend gesucht. Der Grund liegt in der Abwerbung polnischer Facharbeiter durch norwegische, britische und deutsche Werften, die weit höhere Löhne zahlen. Gleich am Werktor von Crist prangt eine fotokopierte Stellenanzeige der halbstaatlichen polnischen Firma.

Auch die Internetjobbörsen sind voll von Arbeitsangeboten im Schiffbau. Noch Anfang September suchte die Danziger Firma Woyne einen Übersetzer mit fließenden Koranisch- und Polnisch-Kenntnissen. „Aufgaben: Überwachung einer koreanischen Arbeitergruppe“, heißt es in der Stellenbeschreibung. Geboten werden für eine 40- bis 60-Stunden-Woche pro Monat umgerechnet 700 Schweizer Franken. Bevorzugt werden laut Woyne EU-Bürger oder Schweizer.

„Dieses Stellenangebot bewegt sich im abstrakten Raum“, kritisiert der Gewerkschafter Aleksander Kozicki. „Hier sucht jemand, um nicht zu finden“, schätzt das Solidarność-Mitglied. Gemäß dem polnischem Arbeitsgesetz kann eine Stelle erst an Nicht-EU-Bürger vergeben werden, wenn keine Polen oder EU-Bürger für die Arbeit gefunden wurden. Polnischkenntnisse wiederum haben laut Menschenrechtlern vor allem Geheimdienstler aus Pjöngjang.

Eine Prüfung der Firma Woyne im polnischen Firmenregister KRS legt diese Spur nahe. Der Firmenchef ist ein Koreaner, die Geschäftsführerin indes eine gewisse Cecylia Kowalska. Die Polin taucht in der polnischen Presse seit 13 Jahren immer wieder im Zusammenhang mit Arbeitsvermittlungen an Nordkoreaner auf, auch im Fall eines ungeklärten tödlichen Arbeitsunfalls bei Crist vor zwei Jahren.

Verlängerung der Visa

Regierungsangaben zufolge hat Polen die Erteilung von Visa an Nordkoreaner nach dem angeblichen Wasserstoffbombentest vom 6. Jänner eingestellt. „Die bereits erteilten Arbeitsbewilligungen werden nicht zurückgezogen, selbst wenn ab nun keine neuen Visa mehr vergeben werden sollten“, fürchtet Marta Borucka von der Helsinki Menschenrechtsstiftung. Visa wie Arbeitsbewilligungen könnten immer wieder verlängert werden, wenn Facharbeiter fehlten.

NKBD hat in Polen mit Nordkoreanern gesprochen, die seit acht Jahren dort arbeiten. Warschau könnte demnach für seine Staatswerften noch etwa bis zum Jahr 2024 ganz legal auf nordkoreanische Zwangsarbeiter zurückgreifen.

„Die Nordkoreaner arbeiten in der Nähe von uns, ganz hinten auf der Werft“, berichtet ein Schweißer aus Indien schließlich freimütig, weit vom Werktor entfernt. „Wir verdienen ganz gut hier in Polen.“ Über den Verdienst der Nordkoreaner wisse er aber nichts.

AUF EINEN BLICK

Polnische Staatsfirmen beschäftigen laut Recherchen von Menschenrechtlern mehrere hundert nordkoreanische Zwangsarbeiter – ungeachtet der EU-Sanktionen gegen Pjöngjang. Auch Malta greift demnach darauf zurück. Weltweit soll das Regime von Kim Jong-un mehrere zehntausend Menschen zur Arbeit ins Ausland geschickt haben. Ziel ist die Devisenbeschaffung: Die Arbeiter müssen laut den Angaben einen Großteil ihres Lohns abgeben. Sie arbeiten auch überdurchschnittlich lang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2016)

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