Ein Pragmatiker, der träumen konnte

Shimon Peres
Shimon PeresOded Balilty / AP / picturedesk.com
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Schimon Peres war einer der letzten Sozialdemokraten Israels. Ein Gentleman, der stets den richtigen Ton traf – und der auf die Palästinenser zuging, als sich die Chance für Frieden bot.

Jerusalem. Mit Schimon Peres geht einer der letzten wahren Sozialdemokraten Israels. Er brauchte keine Villa und keinen Luxus, um sich wohlzufühlen. Der Mann, der die Geschichte des Staates wie nur wenige andere mitgestaltet hat, begegnete seinem Gegenüber stets auf Augenhöhe. Peres begrüßte den Wachposten an der Eingangstür und die Telefonistin mit demselben Respekt, mit dem er Staatsleute in Empfang nahm.

Ein Gentleman, der Umgangsformen besser beherrschte als viele andere an Israels politischer Spitze. Peres fand immer den richtigen Ton, ob im Gespräch mit dem Papst, mit Sharon Stone oder Barbara Streisand, die er beide sehr schätzte, oder beim Spiel mit Kindern. Er war warmherzig, gebildet, Visionär und Träumer, für den Grenzen eine immer geringere Rolle spielten, wo doch sowieso alle jungen Menschen, egal, welcher Nation, „Jeans tragen, Cola trinken und im Internet surfen“.

Ein Falke und eine Taube

Seine größte Enttäuschung, wie sein Sohn Chemi gestern im Armeeradio berichtete, „war, dass wir zu wenig große Träume träumen“. Für seinen Vater bedeutete träumen, wie er selbst sagte, „pragmatisch zu sein“. Seine Träume waren es, die Peres bis zu seiner Erkrankung nicht ruhen ließen.

So bescheiden er seinen Alltag gestaltete, strikt diszipliniert mit gesunder, karger Kost und dicht gefülltem Arbeitsplan, so gern ließ sich Peres feiern. Noch zu Lebzeiten erfüllte sich Peres den Traum von einem Zentrum auf seinen Namen, dem Peres-Friedenszentrum. Hunderte geladene Gäste kamen zu seinem 90. Geburtstag, darunter Ex-Präsident Bill Clinton oder Robert de Niro. „Wenn dich jemand töten will, dann bist du ein Falke“, sagte er damals in einem BBC-Interview. „Aber wenn jemand mit dir Frieden machen will, dann bist du eine Taube. So einfach ist das.“

Lang genug war Peres ein Falke, ein Hardliner, der – um Israels Sicherheit besorgt – Waffen beschaffte und schließlich das Atomprojekt auf die Beine stellte. „Der Krieg war ein großer Erfolg“, kommentierte er kurz nach der Demonstration von Hunderttausenden, die 1982 gegen Israels Feldzug im Libanon protestierten. Innerhalb nur weniger Tage, so prognostizierte er damals fälschlicherweise, werde es ein Friedensabkommen mit dem Libanon geben, und PLO-Chef Jassir Arafat und seine Terroristen würden zur Hölle geschickt.

Zu gern hätte er sich das Palästinenserproblem vom Hals geschafft, indem Israel die besetzten Gebiete an Jordanien abgegeben hätte. Ariel Scharon, sein langjähriger und vielleicht einziger enger Freund, der Likud-Hardliner, fand, dass „Jordanien Palästina ist“. Doch das ging Peres zu weit. Denn entweder, so argumentierte er gegen Scharon, werde Israel die damals schon rund zwei Millionen Palästinenser weiter dominieren oder sie müssten in andere arabische Staaten umgesiedelt werden.

Ein Abkommen mit Arafat erschien Peres jedoch bis spät in die 1980er-Jahre als illusorisch. Er misstraute dem Palästinenser, mit dem er wenige Jahre später den Friedensnobelpreis teilen würde. Als sich der PLO-Chef im November 1988 zum ersten Mal für die Gründung Palästinas an der Seite Israels aussprach, kommentierte Peres: „Weder sehe noch erwarte ich grundsätzliche Veränderungen“ in der Haltung der PLO.

Partei schickte ihn in die Wüste

Doch Peres konnte umdenken, zur Taube mutieren und sein Gegenüber auf Augenhöhe behandeln. Er sprach Arafat nach dessen Rückkehr aus dem Exil als „Präsident“ an, nicht wie später sein Nachfolger Benjamin Netanjahu als „Vorsitzender“. Mit der Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung, die unter seinen Fittichen im September 1993 durchgeführt wurde, schien Peres seinem großen Ziel näher denn je gekommen zu sein. Endlich nahm der Frieden konkrete Form an. Seine Idee war die Errichtung von Industrieparks in den Grenzregionen, in denen Tausende Palästinenser Arbeit finden würden, ohne nach Israel reisen zu müssen. Das Aus kam so schnell wie unerwartet. Mit der Wahl, die Peres 1996 gegen Netanjahu verlor, geriet der Friedensprozess ins Stocken und die Arbeitspartei schickten ihren Chef erst einmal in die Wüste.

Es mag eine Kombination aus der Enttäuschung über den palästinensischen Friedenspartner Arafat und über die eigenen Genossen gewesen sein, die ihn einige Jahre später zum Abschied von der Arbeitspartei und zum Zusammengehen mit Scharon bewegte. Die beiden ungleichen Politiker trafen sich in der Kadima, die Scharon gegründet hatte, um Israels unilateralen Abzug aus dem Gazastreifen voranzutreiben. Peres folgte seinem eigenen Prinzip: „Wenn es zwei Alternativen gibt, ist das Erste, was man tun sollte, nach einer dritten zu suchen – eine, von der man glaubte, dass es sie gar nicht gibt.“

Ein Schüler Ben-Gurions.

Im Alter von zehn Jahren wanderte Schimon Peres mit seinen Eltern von Polen nach Palästina aus – und schon als Jugendlicher engagierte er sich für einen Staat Israels. Staatsgründer David Ben-Gurion nahm den jungen Politiker unter seine Fittiche, und während seiner 70-jährigen Karriere sollte er alle wichtigen Ämter ausüben, die Israel zu vergeben hat. [ imago/United Archives International]

Oslo-Abkommen.Im Rosengarten des Weißen Hauses zelebrierten Jitzhak Rabin, Schimon Peres und Jassir Arafat im September 1993 unter Aufsicht des US-Präsidenten Bill Clinton den unter norwegischer Vermittlung zustande gekommenen Oslo-Friedensvertrag, für den das Trio im Jahr darauf den Nobelpreis erhalten sollte.
[ imago/ZUMA Press ]

Der Seniorpräsident.Im Jahr 2007, im Alter von 84 Jahren, gewann Peres die erste Wahl seines Lebens – die in der Knesset zum israelischen Präsidenten. Gemeinsam mit Premier Benjamin Netanjahu, mit dem er manchen Strauß ausgefochten hat, empfingen sie im März 2013 den US-Präsidenten Barack Obama zu dessen ersten Staatsbesuch in Israel. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2016)

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