Der Georgiewa-Coup: Bulgarin greift nach Amt der UN-Chefin

EU Commissioner Georgieva holds a news conference in Brussels
EU Commissioner Georgieva holds a news conference in BrusselsREUTERS
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Bulgarien nominierte EU-Vizekommissionspräsidentin Kristalina Georgiewa als Nachfolgerin für Ban Ki-moon nach.

Wien/New York. Ihr Name schoss zuletzt immer wieder hoch an der Gerüchtebörse der Vereinten Nationen in New York. Seit Monaten arbeitet Kristalina Georgiewa, die Vizepräsidentin der EU-Kommission, hinter den Kulissen an ihrem nächsten Karrieresprung. Am Mittwoch trat sie aus dem Schatten: Die Regierung in Sofia nominierte die 63-jährige Ökonomin offiziell für das Amt der UN-Generalsekretärin. Gleichzeitig zog Ministerpräsident Bojko Borissow eine andere bulgarische Kandidatin zurück, nämlich Irina Bokowa. Die Unesco-Generaldirektorin war bei der letzten Probeabstimmung im UN-Sicherheitsrat lediglich als Sechste durch das Ziel gegangen. Dieses mäßige Resultat der Sozialistin führte Borissow, ein Christdemokrat, nun als Grund für die Rochade an.

Seine Parteifreundin Georgiewa hat auch außerhalb Bulgariens mächtige Verbündete. Vor allem Angela Merkel soll sich für die EU-Budgetkommissarin eingesetzt haben. Nach Angaben des russischen Außenministeriums brach die deutsche Kanzlerin am Rande des G20-Gipfel in Hangzhou in einem Gespräch mit Kreml-Chef Wladimir Putin eine Lanze für die Bulgarin. Warum es zu dem Leak in Moskau gekommen ist, darüber gibt es nur Spekulationen. Möglicherweise wollte Außenminister Lawrow mit der Indiskretion eine Kandidatur Georgiewas verhindern. Seine Loyalität galt Irina Bokowa, mit der er in den Siebzigerjahren am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen studiert hatte.

Ex-Weltbank-Vertreterin in Moskau

Das Intrigengefecht ist schwer zu entwirren. Informationen der „Presse“ zufolge hatten im Sicherheitsrat vor allem Großbritannien und die USA gegen Bokowa mobil gemacht. Ihre Nähe zu Russland war den Briten ein Dorn im Auge. Unter der Hand verbreiteten sie die Kunde, dass es in der Unesco, der Wirkungsstätte Bokowas, Unregelmäßigkeiten gebe.

Für Russland wäre es nicht so leicht, Argumente gegen Georgiewa zu finden. Einem informellen Rotationsprinzip zufolge, auf dem Moskau zu beharren scheint, soll der oder die Nachfolger(in) von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon aus Osteuropa kommen. Dieser geografischen Anforderung entspricht Georgiewa zweifellos. Sie spricht zudem nicht nur fließend Russisch, sondern war von 2004 bis 2007 Repräsentantin der Weltbank in Moskau. Aus dieser Zeit sind keine Querelen mit der russischen Staatsführung überliefert. Weniger Freude wird Putin jedoch mit dem liberalen, westorientierten Weltbild der Christdemokratin haben. Georgiewa diente von 1993 bis 2010 der Weltbank, in den beiden letzten Jahren als Vizepräsidentin. Danach hat die Intellektuelle, die auch Diplome der London School of Economics und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) vorweisen kann, bei der EU-Kommission angeheuert, wo sie zunächst für Humanitäres zuständig war, in ihrer zweiten Amtszeit für Budget und Personal.

Ob Moskau Georgiewa als Generalsekretärin durchwinkt, ist noch offen. Es wird vermutlich einen Preis verlangen. In allen fünf geheimen Probeabstimmungen für die Wahl des UN-Generalsekretärs lag bisher der ehemalige UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres klar voran. Moskau will ihn jedoch mit einem Veto belegen, wie „Die Presse“ in russischen Diplomatenkreisen erfuhr. Ein Portugiese, ein Kandidat aus einem Nato-Staat, passt dem Kreml nicht in das Konzept.

Chancen für Lajčák und Türk

Die zweitmeisten Stimmen erhielt bei der letzten Probekür überraschend der ehemalige serbische Außenminister Vuk Jeremić. Er kassierte jedoch auch insgesamt sechs Ablehnungen von den 15 Mitgliedern des Sicherheitsrats – und kann angesichts seiner Haltung zum Kosovo kaum mit dem Plazet der Vetomacht Amerika rechnen. Auf dem dritten Platz lauert der slowakische Außenminister, Miroslav Lajčák, dem gute Kontakte zu Russland nachgesagt werden. Er könnte letztlich der Kompromisskandidat sein, doch davor müsste er noch Widerstände aus Großbritannien überwinden, das ihm Personalentscheidungen aus seiner Amtszeit (2007 bis 2009) als Hoher Repräsentant in Bosnien und Herzegowina nachträgt. Auch Sloweniens Ex-Präsident Danilo Türk, zuletzt Fünfter, hat immer noch Chancen.

Am Ende werden die USA und Russland allen öffentlichen Hearings zum Trotz die Entscheidung im stillen Kämmerlein treffen. Der Abtausch könnte so aussehen: Russland beharrt auf Osteuropa als Kriterium und lässt damit Guterres durchsausen. Im Gegenzug pochen die Amerikaner auf eine Frau und ebnen damit Georgiewa den Weg. Mehr wird man nach dem 5. Oktober wissen. Bei dieser Abstimmung werden die fünf Vetomächte ihre Stimmen erstmals farblich markieren. Russland möchte den bzw. die neue Generalsekretär/in unbedingt noch im Oktober während seines Vorsitzes im Sicherheitsrat vorstellen. Doch die Luft zwischen Moskau und Washington ist angesichts der Eskalation in Syrien so dick wie schon lange nicht. Es könnte zu Verzögerungen kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2016)

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