In Kaschmir zündeln die Atommächte

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Grenzkonflikt in der Unruheprovinz flammt wieder auf. Kanonendonner folgt Krieg der Worte. Indien forciert seine politische Isolation.

Wien/Neu Delhi. Zehn Tage währte die militärische Zurückhaltung Indiens nach dem Angriff im Morgengrauen auf einen indischen Armeeposten in der Himalaja-Provinz Kaschmir im Nordwesten des Landes, als an einem Sonntag Granaten im Camp einschlugen, Zelte und Baracken in Flammen aufgingen und 18 indische Soldaten ihr Leben ließen. Seither sind die Spannungen an der 750 Kilometer langen Demarkationslinie zwischen den Erzrivalen und Atommächten Indien und Pakistan erneut aufgeflammt, die bereits zu zwei Kriegen um die geteilte Provinz geführt haben. Die friedliche Ouvertüre der Ära Modi, als Indiens Premier seinen pakistanischen Amtskollegen vor zwei Jahren zu seiner Inauguration in Neu Delhi eingeladen hat, ist längst vom Kanonendonner und einem Krieg der Worte übertönt.

„Ich versichere der Nation, dass diejenigen, die hinter diesem abscheulichen Anschlag stecken, nicht ungestraft bleiben werden“, drohte Narendra Modi via Twitter unmittelbar nach dem schwersten Zwischenfall im Kaschmir seit Langem. Zudem bezichtigte der indische Premier Pakistan, „Terrorismus zu exportieren“ – eine Beschuldigung, die Indien seit Jahr und Tag gegen den Nachbarn erhebt. Rajnath Singh, der Innenminister, ging sogar noch weiter, als er Pakistan als „Terrorstaat“ attackierte. Dass er prompt seine Reisen nach Moskau und Washington absagte, zeigt, dass der Angriff einen Nerv Indiens getroffen hat.

„Chirurgische Schläge“

In der Nacht auf Donnerstag hat Modi seine Drohung nun wahr gemacht. Die indischen Streitkräfte, so die Diktion in Neu Delhi, hätten im Grenzgebiet „chirurgische Schläge“ ausgeführt. Sie hätten pakistanische Extremisten unter Beschuss genommen, die im Begriff gewesen seien, nach Indien einzudringen. Pakistans Verteidigungsminister drohte umgehend mit Vergeltung, Premier Nawaz Sharif trommelte seine Regierung zu einer Sondersitzung zusammen. Pakistan hat prophylaktisch schon den Luftraum an der indischen Grenze und eine Autobahn wegen eines Militärmanövers kurzfristig gesperrt.

Auf beiden Seiten steigt der Druck nach politischen Konsequenzen bis hin zu einer militärischen Reaktion. In Indien war von Wirtschaftssanktionen die Rede und davon, Pakistan das Wasser am Indus abzugraben. „Blut und Wasser können nicht zusammen fließen“, sagte Modi in Anspielung auf das Wasserabkommen mit Pakistan.

Die Regierung in Islamabad trifft die Eskalation im Grenzkonflikt zu einem heiklen Zeitpunkt. Der mächtige und populäre Armeechef steht vor der regulären Ablöse. In Pakistan gilt die Armee als Staat im Staat, der Geheimdienst ISI hat den Aufstieg der Taliban in Afghanistan gefördert. Nach einem Putsch unter der Regie von Generalstabschef Pervez Musharraf im Jahr 1999 gegen Sharif, damals wie heute Premier, hat sich das Militär erst 2008 wieder von der Macht zurückgezogen.

Indessen versucht Indien, den diplomatischen Druck auf Pakistan auf mehreren Ebenen – nicht zuletzt auch bei der UNO – zu verstärken und das Land politisch zu isolieren. Bei seinem jüngsten Besuch in der Region forderte US-Außenminister John Kerry Pakistan zum effektiveren Kampf gegen den Extremismus auf. Als direkte Folge des Anschlags in Kaschmir sagte Indien die Teilnahme beim Gipfel der südostasiatischen Staatengemeinschaft in Islamabad im November ab. Auch Afghanistan, Bangladesch und Bhutan schlossen sich inzwischen dem Boykott des Treffens an, wodurch der Gipfel überhaupt platzen könnte.

Indiens Kooperation mit Afghanistan

Afghanistans Wiederannäherung an den früheren strategischen Partner Indien bringt Pakistan auch an der Westflanke in Bedrängnis. Als Nachfolger Hamid Karzais als afghanischer Präsident hat sich Ashraf Ghani anfangs China und Pakistan zugewandt, um die Bedenken in Islamabad vor einem zu großen Einfluss Indiens am Hindukusch zu zerstreuen. Bei einer Visite in Neu Delhi besiegelte Ghani kürzlich indes den Ausbau der Sicherheitskooperation unter Hinweis auf die prekäre Situation in Pakistan. Nach einem endgültigen US-Abzug könnte Indien in Afghanistan bald eine noch größere Rolle spielen.

Kaschmir und Jammu, die mehrheitlich muslimische Krisenprovinz, kommt derweil nicht zur Ruhe. Die Proteste gegen die Zentralregierung in Neu Delhi reißen nicht ab, in der Hauptstadt Srinagar tobten zuletzt Straßenschlachten von Demonstranten mit der Polizei, die mehr als 80 Menschenleben forderten. Der Tod eines jungen Separatisten hatte die Unruhen angefacht, und selbst die Verhängung des Ausnahmezustands konnte sie nicht eindämmen.

Die Militäroperation Indiens auf pakistanischem Territorium könnte einen Konflikt anheizen, der seit Jahrzehnten schwelt. Seit 2003 herrscht zwar Waffenstillstand im Kaschmir, doch islamistische Gruppen aus Pakistan halten die Spannungen am Köcheln. Indien wollte ein Exempel statuieren. Die Gefechte zwischen indischen und pakistanischen Truppen zogen sich über Stunden. Die Kommunikationskanäle sind immerhin noch nicht abgerissen: Ein hochrangiger indischer General informierte seinen pakistanischen Widerpart über die Militäraktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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