Kolumbien: Der Mann, der den Frieden ablehnte

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Ex-Präsident Uribe hat das Schicksal des Landes in der Hand. Er kann die Aussöhnung mit den Farc platzen lassen - oder sich als Konfliktlöser verewigen.

Buenos Aires/Bogotá. Das war ein eher kühler Glückwunsch: „Ich gratuliere Präsident Santos zum Nobelpreis und hoffe, das möge bewirken, demokratieschädliche Abkommen zu ändern.“ Diese Kurzbotschaft landete in den Twitter-Briefkästen von mindestens 4,56Millionen Menschen. So zahlreich ist das virtuelle Gefolge jenes Mannes, der heute wieder im Zentrum der Macht steht. Genau dort, wo er sein natürliches Habitat sieht.

Álvaro Uribe Vélez ist zurück, seitdem am vorigen Sonntag das No gewonnen hat. 6,4 Millionen der insgesamt 48,8 Millionen Staatsbürger stimmten gegen den Ende September unterzeichneten Friedensvertrag mit der marxistischen Rebellengruppe Farc. Doch weil sich nur 37 Prozent der Wähler an der Abstimmung beteiligen wollten, konnten die Gegner der Aussöhnung siegen. Und deren unbestrittener Führer ist der wahrscheinlich unbequemste Ex-Präsident der Welt.

Der Twitter-Account des 64-Jährigen registriert fast 51.000 versendete Botschaften. Ein Trommelfeuer in eigener Sache und gegen seinen Nachfolger, den er einst als Kronprinzen eingesetzt hatte – und der sich sofort emanzipierte. Als Juan Manuel Santos sich nur drei Tage nach Amtsübernahme mit Uribes Erzfeind Hugo Chávez aussöhnte, verspürte der von Basken abstammende Anwalt aus Medellín Verrat. Als Santos zwei Jahre später auch noch die Friedensgespräche mit den Farc aufnahm, kehrte der Ex-Mandatar zurück in die Politik und begann als Senator sein Kurzbotschaft-Bombardement. Seinen Nachfolger, einen in den USA ausgebildeten Repräsentanten freier Marktwirtschaft und Spross der kolumbianischen Upperclass bezichtigt Uribe voller Überzeugung, das Land dem „Castrochavismus“ auszuliefern. Die Farc sind für ihn schlicht „Narcoterroristas“.

Uribe tourte durch das ganze Land

Trotz seiner extremen Positionen hält Uribe bis heute einen erheblichen Teil jener 80 Prozent Zustimmung, mit der er aus dem Amt geschieden ist, während ökonomische Schwierigkeiten, Korruptionsfälle und nicht zuletzt die zähen Friedensverhandlungen die Popularität des volksfernen Santos auf 21 Prozent haben fallen lassen. Dennoch klagte Uribe oft, dass die Medien ihn ausblendeten.

Dass das No dennoch gewonnen hat, liegt vor allem an Uribes Arbeitswut. In den Monaten vor dem Votum tourte er durch das ganze Land. Besessen wie einst als Präsident, als er an 263 Samstagen sein Kabinett in Kleinstädte und vergessene Gegenden schleifte, um dort die Probleme der Bürger zu erfahren. Der Autor dieser Zeilen begleitete Uribe im Mai 2008 in das Tieflandstädtchen Yopal, lang von den Farc terrorisiert. Der Präsident kam um 9 Uhr früh, setzte sich auf die Bühne und hörte bei 35Grad Hitze alle Klagen der Bewohner. Dann übertrug er den mitgereisten und wie Chorknaben aufgereihten Ministern persönlich die Verantwortung zur Lösung des Problems. Wie sein venezolanischer Gegenspieler Chávez ließ auch Uribe diese Show live und landesweit übertragen. Jeder der zwei wurde vom Volk angehimmelt wie der Messias.

In der Verehrung für Uribe – und im allgemein tief verwurzelten Hass auf die Farc sehen viele Kommentatoren die Wurzel des No, das die Demoskopen ebenso wenig vorausgesagt haben wie Großbritanniens Ausscheiden aus der EU. Tatsächlich ist Álvaro Uribes jetzige Lage jener der Brexit-Betreiber Johnson und Farrage nicht unähnlich. Es fiel auf, dass der Hardliner noch in der Wahlnacht seine Wortwahl mäßigte. Mit „werte Herren von den Farc“ richtete er sich an die Rebellen, für die er stets nur Verwünschungen übrig hatte.

Uribe weiß, dass nun alles an ihm hängt. In der Kampagne machte er seinen Anhängern glauben, es sei möglich, die in vier Jahren ausgehandelten Friedensregeln zu modifizieren. Er hat gegen Straffreiheit für die Guerillabosse gewettert und wider jenen Passus, der einigen Rebellen den direkten Einzug in nationale und regionale Parlamente ermöglicht. Auch kritisierte er die vorgesehene Sondergerichtsbarkeit, obwohl er selbst den unter seiner Ägide demobilisierten Paramilitärs ähnliche Sonderregelungen zugestanden hatte.

Risiko der Rückkehr in die Wälder

Seit Montag verhandeln Uribes Emissäre mit der Regierung, die wiederum den Draht zu den Farc-Bossen in Havanna hält. Die Zeit drängt. Vergangenen Mittwoch empfing Juan Manuel Santos seinen Vorgänger, es war ihr erstes Treffen seit 2010 und geriet eher eisig. Uribe hat nun das Schicksal seines Landes in der Hand. Er könnte auf all seine Forderungen aus der Kampagne pochen. Damit befriedigte er wahrscheinlich seinen Anhang und womöglich sein Ego, aber er würde riskieren, dass die Rebellen in die Wälder zurückkehren. Oder er lenkt ein.

Darauf hoffen viele Kolumbianer und das gesamte Ausland. Der Nobelpreis für Juan Manuel Santos war für Uribe ein Stoppschild, verstärkt noch durch die ungewöhnliche Entscheidung, allein Santos zu beehren und nicht dessen potenziellen Friedenspartner.

Als Feldherr hat Álvaro Uribe Vélez schon seinen Platz in der Geschichte Kolumbiens. Er könnte noch viel wichtiger werden. Er könnte – trotz allem – zum Friedensstifter seines Landes werden. Wenn er doch nur einmal nachgeben würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

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