"Putin soll nicht irrational sein?"

Linkevicius
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Der litauische Außenminister Linkevičius über Russlands angestrebten "Supermacht-Status", Sanktionsgegner in der EU ("finde ich sehr seltsam") und das Chaos während der Migrationskrise: "Wir sind noch nicht bereit."

Herr Außenminister, sie zählen zu den schärfsten Kritikern Russlands, aber auch Sie müssen einräumen: Ohne den Kreml wird es keine Lösung geben, nicht in der Ukraine und auch nicht in Syrien.
Linas Linkevičius : Zuallerest ist es wichtig, dass wir nicht die eine Krise auf Kosten der anderen lösen. Und Russland ist auch in Syrien kein Partner, es ist ein Faktor. Es will Syrien um jeden Preis kontrollieren, auch auf Kosten humanitärer Anstrengungen. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, einen Hilfskonvoi anzugreifen.

Das ist nicht bewiesen.
Russland leugnet das. Wie üblich haben sie viele Versionen. Es sind die üblichen Bluffs und Betrügereien von russischer Seite. Aber es gibt nach und nach Beweise, dass der Angriff aus der Luft kam.

Schweden hat Russland-Sanktionen wegen Syrien ins Gespräch gebracht. Unterstützen Sie das?
Es gibt westliche Regierungen, die von möglichen Kriegsverbrechen durch Russland in Syrien sprechern. Daher ist es nur logisch, dass die Frage nach Sanktionen aufgeworfen wird.

Die andere Frage ist, ob das den notwendigen Dialog mit Russland befördert.
Natürlich brauchen wir Dialog und diplomatische Anstrengungen. Es kommt aber darauf an, wie wir diesen Dialog führen. Manchmal werden Rückzug und Zugeständnisse für die richtige Taktik gehalten. Das wird von der anderen Seite aber als Schwäche wahrgenommen. Es gibt soviele Beispiele. Syrien ist der nächste Augenöffner. Wir müssen in unseren Positionen klar, berechenbar aber auch konsistent sein. Es gibt jedoch immer wieder unterschiedliche Signale an Russland. Das überrascht mich.

Sie spielen darauf an, dass einige Länder ein Ende der Russland-Sanktionen fordern, wie Ungarn und die Slowakei.
Das finde ich sehr seltsam, das dürfte irgendwelchen kurzsichtigen Zielen dienen, vielleicht Geschäftsinteressen, was auch immer. Dabei gab es soviele Lektionen.

Welche Lektionen?
Es begann 2008 mit dem Südkaukasus-Konflikt (Anm.: Georgien-Krieg). Damals haben wir viele Punkte vereinbart, die Russland erfüllen muss. Nichts wurde umgesetzt. Südossetien und Abchasien werden von Russland derzeit weiter militarisiert. Und trotzdem gab es schon ein paar Monate später business as usual. Diese Inkonsistenz kam einer Aufforderung gleich, anderswo Konflikte zu stiften. Ich warnte damals davor, der nächste Halt werde die Krim sein. Sie wurde okkupiert. Wir erwähnten auch Transnistrien (Anm.: abtrünnige Provinz Moldaus). Das wird als Nächstes kommen. Es ist eine tickende Zeitbombe, es ist nur eine Frage der Zeit. Noch ist Russland aber beschäftigt mit der Ukraine und Syrien.

Was Sie nicht erwähnen: Es gibt auch immer wieder russische Initiativen zur Lösungen dieser Konflikte.
Russland macht das immer auf dieselbe Weise, und es funktioniert: Zuerst lösen sie einen Konflikt aus, zum Beispiel mit gefährlichen Manövern über der Baltischen See. Das war buchstäblich militärisches Rowdytum. Danach bringen sie eine Initiative für mehr Flugsicherheit ein, etwa die Transponder der Kampfjets einzuschalten. Und plötzlich sieht es so aus, als wären sie die Friedensstifter eines Konflikts, den sie selbst initiiert haben.

Auch ihre Regierung hier im postsowjetischem Litauen warnt vor einer russischen Gefahr. Doch viele Experten meinen, Putin sei nicht irrational und würde sich nicht nicht mit einem Nato-Land anlegen, zumal hier in Litauen ja ab 2017 auch ein von Deutschland geführtes Bataillon stationiert ist. Sind Sie und ihre Regierungskollegen nicht etwas hysterisch?
Nein. Aber haben Sie gesagt, Putin soll nicht irrational sein? Er ruiniert die russische Wirtschaft, es gibt keine Investitionen in neue Technologien. Ausgaben für die Zivilbevölkerung werden gekürzt. Nur die Verteidigungsausgaben steigen.

Das Vorgehen auf der Krim war zumindest aus einer innenpolitischen Perspektive rational. Putins Beliebtheitswerte sind danach gestiegen.
Der Kitt der russischen Gesellschaft ist die Aussicht darauf, wieder den Status einer Supermacht zu erlangen.
Noch gelingt das, noch sind die Menschen bereit, für diesen Traum Gehälter und Pensionen zu opfern. Aber das kann nicht endlos funktionieren.

Wenn also ihr Land so besorgt wegen Russland ist, muss es doch handfeste Hinweise geben, dass im Baltikum irgendetwas planen könnte.
Wenn im 21. Jahrhundert ein Land Grenzen verschiebt, die als endgültig galten und dafür sehr wenig Konsequnzen zu tragen hat, dann liegt genau darin die Warnung. Übrigens gibt es derzeit Übungen in Kaliningrad, die die Stationierung und mögliche Nutzung von Iskander-Raketen miteinbeziehen. Wir wissen darüber Bescheid. Es ist das übliche Szenario, in dem sie die Situation eskalieren lassen, um Zugeständnisse zu erzwingen.

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte die Nato vor „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“.
Wenn sie die Statistiken mit Blick auf  Präsenz, Übungen und Fähigkeiten kennen würden, würden sie sehen: Das ist kein Vergleich zu dem, was auf russischer Seite geschieht. Experten sehen da große Lücken.

Russland fühlt sich jedenfalls eingekreist und provoziert.
Eine Provokation wäre es, nichts zu tun. 2008 zum Beispiel verhandelten wir in Bukarest darum, ob wir Georgien die Nato Road Map geben sollten. Einige Kollegen sagten, nein, das ist eine Provokation, Russland wird reagieren. Also taten wir es nicht. Und dann fing der Krieg im Südkaukasus an. Russland nahm sich Abchasien und Südossetien.

Litauen liefert tödliche Munition an die Ukraine. Mehr Feuerkraft hilft meistens nicht, einen Krieg zu befrieden.
Also sollen wir Russland diese Gruppen mit Raketenwerfern und Panzern ausrüsten lassen und warten bis sie die ukrainischen Kräfte zerstört haben und dann machen wir Frieden? Die Ukraine hat ein Recht auf Ihre Souveränität. Und unser Beitrag ist sehr symbolisch, eine Geste. Es sind ein paar Kisten Munition.

Wir reden hier auch über den Schutz von Außengrenzen. Es hat sich gezeigt, dass die EU nicht einmal Migrationsströme in geregelte Bahnen lenken kann.
Es war ein Chaos. Wenn die Lebenssstandards in Nordafrika 40-mal niedriger sind als in Westeuropa und es diese Signale gibt, dann sagen sie sich dort: „Also gehen wir, sie nehmen uns auf.“ Wir waren nicht vorbereitet.

Sind wir jetzt bereit?
Es wird besser, aber noch sind wir es nicht. Der Schutz der Außengrenzen, die Kooperation der Geheimdienste, der Austausch von Daten und Maßnahmen mit Blick auf Terrorismus, einem sehr sensibles Thema für die Öffentlichkeit: Wir treffen da viele Entscheidungen und setzen sie nicht rechtzeitig um. Alles geht sehr langsam.

Die Migrationskrise hat auch eine Spaltung zwischen Mittelosteuropa und einigen westeuropäischen Staaten offengelegt. Ungarn und die Slowakei zum Beispiel lehnen die verpflichtende Aufnahme von Asylwerbern ab.
Ich halte das für falsch. Ich stimme nicht überein. Diese Krise ist ein Stresstest, aus dem wir gestärkt hervorgehen können. Wenn wir ihn nicht überstehen, wird es dramatisch.

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