Krisendiplomatie: Merkel öffnet Putin die Tür

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Die deutsche Kanzlerin empfängt heute, Mittwoch, den russischen Präsidenten, Wladimir Putin, in Berlin. Thema des Gipfeltreffens: die Ukraine-Krise. Angela Merkel will aber auch über Syrien reden.

Berlin. Vielleicht war es Zufall, dass die beiden Nachrichten fast zeitgleich die Öffentlichkeit erreichten. Vielleicht aber auch nicht. Am Montag hatte Russland eine vorübergehende Waffenruhe im syrischen Aleppo angekündigt. Tags darauf wurde bekannt, dass Präsident Wladimir Putin am Mittwoch zu Gast in Berlin sein wird, bei Kanzlerin Angela Merkel.

Die Zeichen stehen in diesen turbulenten Zeiten erstmals seit Langem wieder auf Entspannung zwischen Ost und West, ein wenig zumindest. Und Merkel gibt dabei die Signalwärterin. In erster Linie soll es beim Berliner Treffen, an dem auch die Präsidenten Frankreichs (François Hollande) und der Ukraine (Petro Poroschenko) teilnehmen, um die Ukraine-Krise gehen. Allerdings will Merkel mit Putin auch über den Krieg in Syrien sprechen, wie im Kanzleramt zu hören war.

Europas Beziehungen zu Russland sind strapaziert wie schon seit Jahren nicht mehr. So sagte Putin etwa ein für diese Woche in Paris geplantes Treffen kurzfristig ab, nachdem Hollande die russischen Luftangriffe auf Aleppo – wie die USA – als Kriegsverbrechen bezeichnet hatte. Während die Lage in Syrien aussichtslos scheint, öffnet Merkel dem russischen Präsidenten nun die Tür, um zumindest in der umkämpften Ostukraine einen Fortschritt zu erreichen.

„Wunder darf niemand erwarten“

Konkret wird es in Berlin um die Frage gehen, was geschehen müsste, damit es zu einem dauerhaften Waffenstillstand zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen kommt. Das Friedensabkommen von Minsk, im Februar 2015 geschlossen, wurde bis heute nicht umgesetzt. Beide Seiten werfen einander vor, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten und laufend die Waffenruhe zu brechen.

OSZE-Beobachter führen die wechselseitigen Verstöße in den vergangenen Wochen auch darauf zurück, dass der vereinbarte Abstand zwischen den Truppen meist nicht eingehalten wurde. Außerdem, hieß es, seien nicht alle schweren Waffen abgezogen worden, weder von den Rebellen noch von den Regierungstruppen. In diesen Punkten will Merkel nun offenbar vorankommen.

Es ist Putins erster Besuch in Deutschland seit Beginn der Ukraine-Krise. Merkel war zuletzt im Mai 2015 in Moskau. Zum bisher letzten Mal traf sich die „Normandie-Gruppe“ (benannt nach dem Ort des erstmaligen Treffens), zu der auch Hollande und Poroschenko zählen, im Oktober 2015 in Paris.

Man solle die Erwartungen im Hinblick auf den Berliner Gipfel „nicht so hoch ansetzen“, sagte der ukrainische Präsident am Dienstag vor Journalisten in Oslo. Er sehe die Zukunft der Ukraine sehr optimistisch, aber das nächste Treffen eher weniger. „Wenn es sich anders entwickeln sollte, wäre ich aber glücklich darüber.“ Und auch der Kreml ließ die deutsche Kanzlerin wissen, dass es noch zu früh sei, um über Einigungen zu sprechen.

Die EU hatte wegen des Ukraine-Konflikts Sanktionen gegen Russland verhängt. Zuletzt häuften sich die Forderungen nach neuen Strafmaßnahmen wegen des Krieges in Syrien, an dem Russland als Unterstützer des Assad-Regimes an vorderster Front beteiligt ist. Allerdings winkten die EU-Außenminister bei einem Treffen am Montag ab.

Merkel schloss gestern jedoch nichts aus: Da die Situation in Syrien „noch desaströser“ geworden sei, lägen alle Optionen auf dem Tisch – auch Sanktionen. „Aber Vorrang hat jetzt erst einmal, dass wir gucken müssen, das Leiden der Menschen in irgendeiner Weise zu lindern.“ Die humanitäre Lage, etwa in Aleppo, habe sich durch syrische und russische Luftangriffe weiter verschlechtert, so die Kanzlerin. „Natürlich werden wir das thematisieren.“ Wunder dürfe man keine erwarten. Aber man müsse die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Putin nutzen.

Luftangriffe über Aleppo unterbrochen

Russland und Syrien unterbrachen inzwischen – laut eigenen Angaben – die Angriffe auf jene Stadtteile Aleppos, die von Rebellen beherrscht werden. Die eigentliche Feuerpause ist dann erst am Donnerstag vorgesehen. Es handle sich um Vorbereitungsmaßnahmen, sagte der russische Verteidigungsminister, Sergej Schoigu. Die syrische Armee werde sich so weit zurückziehen, dass feindliche Kämpfer den Osten Aleppos ungehindert durch zwei Korridore verlassen könnten. Für Zivilisten würden sechs Korridore geöffnet.

Am morgigen Donnerstag ist dann ein Waffenstillstand geplant, zwischen sieben und 15 Uhr Ortszeit, aber nicht länger. Russland nennt das eine humanitäre Pause.

AUF EINEN BLICK

Russland, Frankreich, Deutschland und die Ukraine bilden das „Normandie-Format“: Die Kontaktgruppe hatte in Minsk einen Plan zur Beilegung des Ukraine-Konflikts ausgehandelt. Noch führte das Minsk-II-Abkommen nicht zur erhofften Befriedung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2016)

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