UNO verschiebt Hilfe für die Zivilisten im belagerten Osten Aleppos

People remove belongings from a damaged site after an air strike Sunday in the rebel-held besieged al-Qaterji neighbourhood of Aleppo
People remove belongings from a damaged site after an air strike Sunday in the rebel-held besieged al-Qaterji neighbourhood of AleppoREUTERS
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Wegen unzureichender Sicherheitsgarantien verzögerte sich die Rettung Hunderter verletzter Menschen.

Genf/Ankara/Damaskus. Es sollten die ersten vorsichtigen Schritte sein, um Zivilisten aus der Gefahrenzone zu retten. Doch die für Freitagnachmittag geplanten Evakuierungen aus dem eingeschlossenen Ostteil der nordsyrischen Metropole Aleppo verzögerten sich. Die Vereinten Nationen wollen den derzeitigen Bombardierungsstopp dazu nutzen, um Hunderte Kranke und Verwundete in Sicherheit zu bringen und humanitäre Güter in die von Aufständischen kontrollierten Viertel der Stadt zu bringen. Doch laut UNO waren die Voraussetzungen dafür zunächst nicht gegeben. „Es ist eine unglaublich schwierige Operation, bei der wir Sicherheitsgarantien und Unterstützung aller Parteien vor Ort benötigen“, sagte der Sprecher des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Einsätze, Jens Laerke. Er zeigte sich jedoch optimistisch, dass die Evakuierungen doch noch durchgeführt werden könnten. Die Lage ändere sich von Stunde zu Stunde.

„Terroristen verhindern Evakuierung“

Syriens Regierung spielte den Ball zurück: „Wir haben alle Maßnahmen getroffen. Aber leider ist die UNO nicht bereit zu kooperieren“, sagte am Freitag der syrische Botschafter bei der UNO in Genf, Hussam Aala. Es geschehe nichts, weil „die Terroristen in Aleppo die Evakuierung verhindern, indem sie mit Granaten und Scharfschützen die humanitären Korridore angreifen“. Das Regime hat in den vergangenen Tagen die verbliebenen Menschen im Osten Aleppos wiederholt aufgefordert, die Rebellenviertel zu verlassen. Die Aufständischen werfen dem Regime vor, damit Ostaleppo entvölkern und so die Opposition aus der Stadt verjagen zu wollen. Zudem fordern die Rebellen, dass auch die Zivilisten, die bleiben wollen, geschützt werden. Derzeit sollen sich noch rund 250.000 Menschen in den von den Aufständischen kontrollierten Vierteln befinden.

Laut UNO haben Syriens Regime und Russland zugesagt, ihre Luftangriffe auf den Osten Aleppos von Donnerstag an mindestens vier Tage lang – für jeweils elf Stunden – auszusetzen.

UN kritisiert Kriegsverbrechen

Zuvor hatten sich die Gefechte in Aleppo massiv verschärft. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zaid Raad al-Hussein, bezeichnete am Freitag die Belagerung und die Luftangriffe auf Ostaleppo als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. „Bewaffnete Oppositionsgruppen schießen weiterhin Granaten in den Westen Aleppos. Aber die willkürlichen Luftangriffe auf den Osten der Stadt durch die Regierung und ihre Alliierten sind verantwortlich für die große Mehrheit der zivilen Opfer.“ Das ging auch klar in Richtung der – namentlich nicht erwähnten – russischen Streitkräfte, die zuletzt den Großteil dieser Luftangriffe durchgeführt hatten.

Bedeutende Handelsmetropole

Aleppo ist so heftig umkämpft, weil es für alle Streitparteien von großer strategischer Bedeutung ist. Vor dem Krieg war die nordsyrische Millionenstadt die bedeutendste Handels- und Industriemetropole des Landes. Wer Aleppo und das Umland der Stadt beherrscht, kontrolliert zudem den wichtigsten Verbindungsweg von den Bevölkerungszentren Westsyriens in Richtung Türkei.

Dem Regime ist es im Sommer gelungen, einen Belagerungsring um den von verschiedensten Rebelleneinheiten kontrollierten Ostteil Aleppos zu ziehen. Unter den Aufständischen befinden sich auch jihadistische Fraktionen wie Fatah al-Sham. Bis vor Kurzem hieß sie noch al-Nusra-Front und war die Vertreterin des Jihadistennetzwerks al-Qaida in Syrien. Mit der Umbenennung in Fatah al-Sham sagte sie sich zwar offiziell von der al-Qaida los, ihre Ideologie änderte sie aber nicht. Anders als der sogenannte Islamische Staat (IS) gingen al-Nusra und ähnliche Gruppen Bündnisse mit moderateren Rebellen ein. Daher ist es schwierig, sie in Aleppo von weniger extremen Gruppen zu trennen.

Türkische Bomben auf Kurden

Die Lage rund um Aleppo wird auch wegen der Eskalation an einer Nebenfront immer komplizierter. Die türkische Regierung gab bekannt, bei Luftangriffen nördlich der Stadt bis zu 200 Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen Kurden getötet zu haben. Die YPG sind die wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den IS in Syrien. Ankara, das das kurdische Autonomieprojekt in Nordsyrien zerschlagen möchte, bezeichnet die YPG hingegen als Terrororganisation. (Reuters/w.s.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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