Neue Massenproteste in Venezuela gegen Maduro

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VENEZUELA-CRISIS-OPPOSITION-PROTEST(c) APA/AFP/JUAN BARRETO
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Die Opposition, die im Parlament über eine Mehrheit verfügt, verlagert den Druck für eine Amtsenthebung des Präsidenten auf die Straße. Regierung wirft ihr Prügel vor die Füße.

Caracas/Buenos Aires. Venezuela soll erobert werden – vom eigenen Volk. „La Toma de Venezuela“ nennt die Opposition des Landes jene Mobilisierung von Millionen Menschen, die gestern alle wichtigen Städte des Landes lahmgelegt hat. Diese „Einnahme Venezuelas“ soll den Weg für eine Absetzung des Präsidenten, Nicolás Maduro, freimachen, haben Oppositionsführer wie Henrique Capriles, der Gouverneur des Staates Miranda, gefordert.

Wie schon bei vorherigen Demonstrationen versuchten die Behörden, die Teilnahme an den Protesten zu erschweren. Schon am frühen Mittwochmorgen errichteten Polizei und Nationalgarde Straßensperren rund um die Hauptstadt, um den einströmenden Berufsverkehr – und auch mögliche Protestierer – aufzuhalten. Außerdem wurden zehn U-Bahn-Stationen von Caracas gesperrt. Am Flughafen verwehrten die Behörden vier peruanischen Journalisten die Einreise. Weil die Regierung um den Regierungspalast Miraflores ihre zum Teil militanten Anhänger zusammenzog, waren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und Chavistas befürchtet worden. Zunächst blieb es jedoch weitgehend ruhig.

Die Opposition beschloss vorige Woche, den Druck auf die Straße zu verlagern, nachdem die Justiz das seit April laufende Amtsenthebungsverfahren gegen Maduro auf Eis gelegt hatte. Weil Maduro mithilfe des von Chavistas besetzten Höchstgerichts das von der Opposition dominierte Parlament blockiert und vielfach gar ignoriert und weil das Ausland die Mühen der Regimegegner bestenfalls zögerlich unterstützt, sehen die Oppositionellen ihre letzte Chance im Massendruck von unten. Umfragen bescheinigen, dass vier Fünftel der Bevölkerung mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sind.

Zuletzt meldeten Statistiker einen Anstieg der Verbraucherpreise um 555 Prozent im Vorjahr. Der Versorgungsmangel ist dramatisch, es fehlen Lebensmittel, Medikamente und Ersatzteile. Medizinische Apparate, Ölfördertechnik, Erntemaschinen und Fahrzeuge fallen aus. Im Süden des Landes starben mindestens vier Kinder an Diphtherie, die hochinfektiöse Krankheit galt seit 27 Jahren als ausgerottet. Nun fehlte es offenbar an Impfungen. Die Ärzte, die diese Nachricht kundgetan hatten, klagten über schwere Repressalien vonseiten der Gesundheitsbehörden.

Schwäche der Opposition

Die Missstände verschärften den tiefen Graben zwischen der Regierung und ihren Gegnern, die sich seit Jahren im heterogenen „Tisch der demokratischen Einheit“ (MUD) mehr oder weniger zusammenraufen. Nach der Suspendierung des Referendums schien die Opposition seit Langem wieder geeint in ihrem Beschluss, den Kampf auf die Straße zu tragen. Doch nur zwei Tage vor dem Marsch vom Mittwoch manifestierte sich die Schwäche der MUD aufs Neue.

Kurz nachdem Staatschef Maduro einen Kurzbesuch bei Papst Franziskus absolviert hatte, gab dessen Emissär Emil Paul Tscherrig die Aufnahme einer neuen Verhandlungsrunde zwischen Regierung und Opposition auf der Karibikinsel Margarita bekannt. Am Tisch sind, neben dem Schweizer, der eigentlich als apostolischer Nuntius in Argentinien stationiert ist, zwei hohe Chavistas und der MUD-Generalsekretär Jesús Villalba gesessen. Doch kurz darauf rollte eine Welle der Empörung an.

Ohne Freilassung aller politischer Gefangener gebe es keine Verhandlungen mehr, stellte die von chavistischen Richtern ausgebootete Ex-Abgeordnete María Corina Machado klar. Henrique Capriles, der von den Gesprächen mit dem Vatikan aus dem Fernsehen erfahren haben will, sagt: „Jetzt, da der Regierung das Wasser zum Hals steht, spricht sie von Dialog.“

Capriles, bisher eher konziliant, hat offengelassen, ob er sich auf Gespräche einlässt. „Es gibt für die Opposition nichts mehr zu verhandeln.“ Prinzipiell sei er bereit, „selbst mit dem Teufel zu sprechen“, sagte Capriles. „Aber nicht ohne Zeugen.“ Der Gouverneur verlangt die Teilnahme des spanischen Ex-Premiers Felipe Gonzáles, die permanente Präsenz des Vatikans und die Abhaltung der Gespräche in Caracas – „vor den Augen aller“.

AUF EINEN BLICK

Der Machtkampf spitzt sich weiter zu: Für Mittwoch hat die Opposition zu Großdemonstrationen im ganzen Land gegen die sozialistische Regierung von Präsident Nicolás Maduro aufgerufen. „Wenn wir wollen, dass Venezuela auf den Pfad der Verfassung zurückfindet, müssen wir Einsatz zeigen“, sagte Oppositionsführer Capriles.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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