Warum Ankara einen Zweifrontenkrieg führt

 Präsident Recep Tayyip Erdoğan
Präsident Recep Tayyip ErdoğanAPA/AFP
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Erdoğan will Machtzuwachs des Iran verhindern und zugleich Kurden stoppen: Die Festnahme der Bürgermeisterin von Diyarbakır ist eine klare Kampfansage an alle Kurdenvertreter.

Die türkische Regierung führt im eigenen Land sowie in den Nachbarstaaten Syrien und Irak einen Zweifrontenkrieg. Dabei geht es Präsident Recep Tayyip Erdoğan darum, eine von ihm beobachtete Stärkung extremistischer Kurden zu stoppen und gleichzeitig einen befürchteten Machtzuwachs des Iran zu verhindern. Erdoğans Politik führt das Land noch tiefer in den Strudel der eskalierenden Konflikte an den türkischen Südostgrenzen hinein.

Die Festnahme von Gültan Kisanak, Bürgermeisterin der Kurdenmetropole Diyarbakır im Südosten der Türkei, ist eine offene Kampfansage an die politischen Vertreter der Minderheit. Vor einem Jahrzehnt machte Erdoğan Schlagzeilen mit der Erkenntnis, dass der Kurdenkonflikt nur mit politischen Mitteln überwunden werden könne. Heute setzt er auf Härte – auch weil die Hardliner bei der Rebellengruppe PKK im vergangenen Jahr mit einer neuen Runde der Gewalt begannen.

Angst vor kurdischem Staat

Mit ähnlicher Entschlossenheit geht Erdoğan gegen die mit der PKK verbündeten Kurden in Syrien vor. Türkische Panzer und Ankara-treue syrische Rebellen rücken im Norden Syriens weiter vor; Erdoğan kündigte die Einnahme der Stadt Al-Bab an, die rund 30 Kilometer südlich der türkischen Grenze liegt. Damit sollen weitere Gebietsgewinne der syrischen Kurden unterbunden werden, die bei Erdoğan im Verdacht stehen, in dieser Gegend einen eigenen Staat gründen zu wollen. Gleichzeitig mischt sich die Türkei trotz des ausdrücklichen Neins der irakischen Regierung in die Offensive gegen den Islamischen Staat (IS) im nordirakischen Mossul ein. Dabei schwingen neo-osmanische Gedanken mit, die bei den türkischen Nachbarn mit Beunruhigung wahrgenommen werden: „Mossul war unser“, erklärte Erdoğan kürzlich. Dasselbe gelte für die irakische Ölstadt Kirkuk.

Doch die eigentliche Motivation für das türkische Engagement in Mossul liegt nicht in einem Traum von der Wiederrichtung des Osmanischen Reiches: Ankara beklagt seit Langem den wachsenden Einfluss des Iran im Irak und befürchtet, dass die Iraner und ihre irakischen Partner nach der Befreiung Mossuls vom IS dort eine schiitische Vorherrschaft in einem vorwiegend sunnitischen Gebiet errichten wollen; Mossul ist nur rund hundert Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Einige Beobachter befürchten, dass die türkisch-irakischen Spannungen in einen bewaffneten Konflikt zwischen zwei Ländern umschlagen könnten, die eigentlich gemeinsam gegen den IS kämpfen wollen. Zalmay Khalizad, ein ehemaliger US-Botschafter im Irak, schrieb kürzlich in einem Beitrag, zwischen Ankara und Bagdad drohe ein ausgewachsener Krieg. Die Türkei befürchte, dass der Iran einen schiitischen Korridor von Teheran bis zur syrischen Mittelmeerküste einrichten wolle: Mossul sei aus Sicht Ankaras ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel.

Entsprechend eindeutig fallen die Warnungen Ankaras aus. Premier Binali Yıldırım betonte jetzt mit Blick auf die von der Türkei vermuteten schiitischen Ansprüche, die demografische Struktur von Mossul dürfe nicht angetastet werden. Die Türkei beobachte die Entwicklung sehr aufmerksam.

Während Ankara sein Verhalten in Südostanatolien sowie in Syrien und im Irak als Beitrag zur Landesverteidigung sieht, erkennen viele Kurden sowie die Nachbarn darin Zeichen einer Aggression Ankaras. Auch fehlt bei Erdoğans Politik eine erkennbare Zukunftsvision: Die Festnahme kurdischer Bürgermeister wird den Kurdenkonflikt nicht lösen, sondern verschärfen; die Stationierung türkischer Truppen in Syrien und im Irak kann nicht ewig dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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