Hashim Thaçi: „Gefahr für multiethnische Staaten“

Kosovo´s President Hashim Thaci
Kosovo´s President Hashim Thaci (c) REUTERS (POOL)
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Der kosovarische Präsident, Hashim Thaçi, kritisiert das Referendum der bosnischen Serben und fordert von der EU eine aktivere Rolle auf dem Balkan.

Die Presse: In der Serbischen Republik, dem zweiten Landesteil von Bosnien und Herzegowina, wurde zuletzt ein Referendum über einen eigenen Feiertag durchgeführt – ein weiterer Schritt in Richtung Loslösung vom Gesamtstaat. Könnte das auch Auswirkungen für den Kosovo haben?

Hashim Thaçi: Es war keine kluge Idee von den Politikern der Serbischen Republik, dieses Referendum durchzuführen. Die internationale Gemeinschaft sollte direkter und härter mit der Führung der Serbischen Republik reden. Denn wenn das Vorgehen der Serbischen Republik Schule macht, könnten sich auch andere Gebiete auf dem Balkan das Recht nehmen, Referenden abzuhalten: etwa die Menschen im Sandžak oder die Albaner in Mazedonien und Montenegro oder die Serben im Nordkosovo. Das wäre eine Gefahr für multiethnische Staaten. Diese Tendenz, rein ethnische Staaten zu bilden, führt nur zu neuen Konflikten.

Für Bosnien und Herzegowina wäre die Abspaltung der Serbischen Republik natürlich eine Katastrophe. Aber könnte das nicht gerade für den Kosovo eine Chance darstellen: weil es für Belgrad dann leichter wäre, auch die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen?

Nein, eine Abspaltung der Serbischen Republik von Bosnien und Herzegowina würde zu einer Kettenreaktion mit negativen Auswirkungen in der gesamten Region führen. Die Serbische Republik und der Kosovo haben nichts gemeinsam. Die Serbische Republik ist ein Konstrukt des Völkermordes in Bosnien. Der Kosovo war in seinen heutigen Grenzen schon einer der Bestandteile des ehemaligen Jugoslawien. Der Kosovo ist ein Fall sui generis. Seine Unabhängigkeit wurde nach den serbischen Verbrechen mit internationaler Akkordierung umgesetzt. Kosovo hat eine Perspektive als multiethnischer Staat.

Die Wunden des Konflikts von damals sind weiterhin nicht verheilt. Ende September kritisierte der UN-Sondergesandte für die Menschenrechte Vertriebener, Chaloka Beyani, dass auch nach wie vor 88.000 aus dem Kosovo Vertriebene in Serbien leben. Wie kann das gelöst werden?

Der Kosovo ist die Heimat aller seiner Bürger. Alle Serben sind herzlich willkommen, in ihre Häuser zurückzukehren. Es ist nicht so, dass der Kosovo mehr der einen als der anderen Gemeinschaft gehört. Er gehört allen. Diese Rechte für alle ethnischen Gemeinschaften sind auch in der kosovarischen Verfassung verankert.

Zuletzt hat sich das Verhältnis zwischen Kosovo und Serbien verschlechtert. Bei den Gesprächen in Brüssel werden nicht mehr so viele Fortschritte wie früher erzielt. Woran liegt das?

All die jüngsten Zwischenfälle können die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien negativ beeinflussen, aber der Prozess muss fortgesetzt werden. Die Verhaftung des kosovarischen Polizeichefs von Mitrovica, Nehat Thaçi, in Serbien war unnötig, und wir sind sicher, dass er bald freigelassen wird. Wir werden aber nicht mit gleichen Mitteln zurückschlagen. Wir konzentrieren uns auf die Zukunft und die Implementierung der Brüsseler Abkommen, die vielleicht zu einem neuen umfassenden Abkommen zwischen dem Kosovo und Serbien führen werden – zur völligen Normalisierung des Verhältnisses und einer Art Versöhnung.

Sie haben gesagt, dass Sie nicht mit gleichen Mitteln zurückschlagen wollen. Aber der Kosovo-Beauftragte der serbischen Regierung, Marko Djurić, ist vom Kosovo mit einem Einreiseverbot belegt worden.

Wir sind nicht dagegen, dass sich serbische Politiker im Kosovo frei bewegen können. Aber wir haben dafür gewisse Regeln, die respektiert werden müssen. Serbische Politiker werden auch künftig wieder in den Kosovo reisen dürfen, wenn sie sich an die gemeinsam vereinbarten Regeln halten.

Was kann getan werden, um die stockenden Gespräche in Brüssel wieder in Schwung zu bringen und die Atmosphäre mit Serbien zu verbessern?

Vielleicht werden die Dinge schlimmer dargestellt, als sie sind. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald zu einem Punkt zurückkehren werden, an dem wir normal verhandeln können. Es gibt ab und zu Statements von beiden Seiten, die nicht wohlüberlegt sind. Aber im Allgemeinen läuft die Politik sowohl in Prishtina als auch in Belgrad in Richtung Normalisierung. Natürlich sollte die EU als Vermittler dieses Prozesses hartnäckig sein, damit die getroffenen Vereinbarungen unverzüglich umgesetzt werden. Die EU sollte ernsthaft vorbereitet sein, den Prozess der Normalisierung auf höchster politischer Ebene fortzusetzen und ein umfassendes Abkommen zu erreichen, das die Beziehungen zwischen beiden Ländern normalisiert.

ZUR PERSON

Hashim Thaçi (geboren 1968) ist seit April 2016 Präsident des Kosovo. Zuvor war er von 2008 bis 2014 Premierminister. Thaçi ist früheres Führungsmitglied der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) und war als solches Anschuldigungen über Organhandel ausgesetzt. In Thaçis Demokratischer Partei (PDK) haben viele frühere Kämpfer eine neue politische Heimat gefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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