Republik Moldau: Verdächtige Rochaden

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MOLDOVA-POLITICS-PRESIDENTIAL-ELECTIONS(c) APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU
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Nach dem überraschenden Rückzug des Regierungskandidaten könnte der prorussische Sozialist Dodon bei der Präsidentenwahl schon in der ersten Runde gewinnen.

Chisinau. Vitalie Branişte hat dicke Ringe unter den Augen. Seit einem Monat steht der moldauische IT-Spezialist um fünf Uhr morgens auf, um die wichtigsten Besorgungen zu tätigen, danach fährt er zum Wahlstab von Maia Sandu, die als Kandidatin der außerparlamentarischen Opposition sowie der Protestbewegung Würde und Wahrheit die Republik Moldau von Oligarcheninteressen säubern will. „Ich bin hier, weil ich mein Vaterland nicht verlassen will“, sagt der Familienvater.

Jeder vierte Moldauer lebt als Gastarbeiter in Russland oder der EU. Um etwas dagegenzusetzen, macht Branişte bis spätabends für Sandu Wahlkampf in den sozialen Netzwerken. Maschinenbauingenieur Alexander hat sich im Büro der frisch gegründeten Sandu-Partei Tat und Solidarität (PAS) für eine Wahlbeobachterschulung eingefunden. „Zweimal habe ich gegen den Bankenskandal und den Klau von einer Milliarde Dollar demonstriert, nun will ich endlich eine reale EU-Integration“, sagt der 29-Jährige kämpferisch.

Dass es bei der ersten Volkswahl des moldauischen Staatsoberhaupts seit 20 Jahren am Sonntag mit rechten Dingen zugeht, ist nicht nur für die allesamt unbezahlten PAS-Aktivisten zweifelhaft. „Der Friedhof hat schon gewählt“, sagt die Sozialarbeiterin Dina und verweist auf Medienberichte, wonach auf den Wahllisten Tausende Verstorbene figurieren. Wen die Toten wählen, ist spätestens seit Donnerstagabend unklar. Drei Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hat der nominell proeuropäische Regierungskandidat Marian Lupu das Handtuch geworfen.

Kandidatin als letzte Hoffnung

Die Verantwortung für sein Land zwinge ihn zu diesem Schritt, erklärte er am Mittwochabend im Staatsfernsehen. Neben ihm saß der Vize-Chef seiner Demokratischen Partei und zugleich der mächtigste Oligarch des Landes, Vladimir Plahotniuc, und säuselte, man wolle mit dem Schritt die anderen pro-europäischen Kandidaten stärken.

„Ich beiße nicht in diesen vergifteten Apfel“, konterte Oppositionskandidatin Sandu. Man habe Signale erhalten, dass Lupus Parteigänger und von der Regierung finanziell abhängige Bürgermeister angehalten würden, den prorussischen Präsidentschaftskandidaten Igor Dodon zu wählen, erklärt eine Sprecherin Sandus.

Sandu gilt vielen Moldawiern als letzte Hoffnung. Vor vier Jahren ließ sich die heute 44-jährige Ökonomin von einem Weltbankposten in Washington abwerben, um in der Regierung des inzwischen wegen Korruption verurteilten Vlad Filat Bildungsministerin zu werden. Nach dem Bankenskandal trat sie entrüstet aus. „Ich bin sauber und muss mich deshalb vor niemandem fürchten“, sagt Sandu im Gespräch mit der „Presse“.

Lupus Demokratische Partei und die Sozialisten arbeiteten de facto zusammen, um das Land auszurauben. Heute sei es dringender denn je, das Vertrauen der Moldauer in den Staat wieder herzustellen. Dies wolle sie mittels der Wahl eines unabhängigen Staatsanwalts erreichen. „Wir brauchen einen neuen Politiktyp, der sich für das Wohl des Landes und eine ehrliche EU-Integration einsetzt“, so Sandu.

Bisher wählte das moldauische Parlament das Staatsoberhaupt. Nun haben sich die Ränkespiele um das vor allem repräsentative, jedoch mit ein paar entscheidenden Vetorechten ausgestattete Amt auf die Straße ergossen. Getrickst wird überall. Wahlgeschenke werden verteilt, Kandidaten kurz vor dem Ziel ausgeschlossen, mehrere haben sich auch selbst wieder aus dem Rennen genommen. In den Umfragen führt der prorussische Sozialistenchef und ehemalige kommunistische Wirtschaftsminister Igor Dodon (23–46 Prozent) vor der proeuropäischen Oppositionskandidatin Sandu (etwa 20 Prozent). Gegen zehn Prozent könnte der ebenfalls prorussische Dimitri Tschubaschenko (Unsere Partei) erhalten. Viele Beobachter in Chisinau erwarten indes noch seinen Rückzug – zugunsten Dodons.

Straßenproteste angekündigt

Dazu kommt eine Reihe weiterer proeuropäischer Kandidaten mit Anteilen von unter drei Prozent, darunter die langjährigen Regierungspolitiker Iurie Leanca und Mihai Ghimpu, der eine Vereinigung Moldawiens mit Rumänien will. „Sie sind im Rennen, um Maia Sandus Resultat nach unten zu drücken“, erklärt der Politologe Igor Botan.

Nach Lupus Rückzug sei ein Wahlsieg Dodons bereits in der ersten Runde denkbar. Der Rückzug sei genau kalkuliert und zeige auf, wie der Oligarch Plahotniuc mit der von ihm kontrollierten proeuropäischen Regierung künftig sowohl in Brüssel wie Moskau Geld abschöpfen kann. Dodon hat Lupus Anhänger bereits aufgefordert, für ihn zu stimmen: „Ich werde der Präsident des ganzen Landes sein.“ Maia Sandu hat inzwischen Straßenproteste angedroht, falls es am Sonntag Anzeichen für Wahlfälschungen gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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