Piraten wollen Island kapern

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ICELAND-VOTE-JONSDOTTIR(c) APA/AFP/HALLDOR KOLBEINS
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Nach dem Panama-Skandal steht die Piratenpartei vor dem Sieg. Sie liegt vor dem Urnengang am heutigen Samstag Kopf an Kopf mit den Konservativen.

Stockholm/Reykjavik. Islands Piratenpartei segelt Richtung Wahlsieg. Hacker, Anarchisten, Internetaktivsten und Künstler, die eine Entmachtung der alten Elite Islands, mehr Direktdemokratie, die Legalisierung von Drogen und Asyl für Edward Snowden fordern, könnten bei der Parlamentswahl am Samstag stärkste Kraft werden.

Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Selbstständigkeitspartei um die 20-Prozent-Marke herum voraus. Dabei hat die Dichterin und Spitzenkandidatin Birgitta Jónsdóttir (49) die isländische Piratenpartei erst vor knapp vier Jahren mitbegründet.

Jónsdóttir, die sich gern als Punk bezeichnet, ist im Volk als idealistische Anti-Politikerin beliebt. International bekannt wurde sie 2010, als sie mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange für die Veröffentlichung des Collateral-Murder-Videos sorgte. Noch bis in die letzten Wahlkampfwochen beteuerte Jónsdóttir, dass sie gar nicht Premierministerin werden möchte, sondern „eine geeignete Person für den Job“ finden wolle.

Inzwischen sagt sie, dass sie es als selbst versuchen könnte. Ihre Partei will weder rechts noch links sein. Eine Koalition mit den regierenden bürgerlichen Parteien schlossen die Piraten aber aus. „Die Menschen haben die korrupte Regierung und deren systematische Bevorzugung kleiner Eliten satt“, erklärt die Piratin Sunna Ævarsdóttir der „Presse“.

Wie Phönix aus der Asche

Die Politologin Heida Önnudóttir von der Universität Island sieht das ähnlich: „Tatsächlich fühlen sich Islands Wähler seit der Finanzkrise von 2008 und der Verwicklung der derzeitigen bürgerlichen Regierung in den Panama-Skandal nicht mehr an die traditionelle Parteienlandschaft gebunden, alle vier etablierten Parteien haben sie enttäuscht.“ Nach der Finanzkrise von 2008, bei der Islands Banken pleitegingen, entzogen viele Bürger der konservativen Unabhängigkeitspartei ihr Vertrauen. Eine rot-grüne Nachfolgeregierung enttäuschte dann aber auch. Ein weiteres Mal gab das Volk 2013 bürgerlichen Kräften eine Chance. Doch auch Premier Sigmundur Daviđ Gunnlaugsson (41) musste im April gehen, weil er laut Panama-Papieren Gelder offshore geparkt hatte. Finanzminister Bjarni Benediktsson (46), derzeitiger Spitzenkandidat der Konservativen, tauchte ebenso in den Panama-Papieren auf. Er ging jedoch offener mit seinem Skandal um und bat um Verzeihung.

Wirtschaftlich ist Island seit 2008 wie ein Phönix aus der Asche emporgestiegen. Die anfängliche Weigerung, Auslandsschulden zu bezahlen, die starke Fisch- und Aluminiumindustrie sowie der dank abgewerteter Währung aufstrebende Massentourismus haben das Land gerettet. Die Arbeitslosigkeit ist mit 2,9 Prozent derzeit die niedrigste in Europa. Inzwischen müssen wieder Arbeitskräfte aus Osteuropa geholt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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