Die Opposition sucht den Showdown mit Präsident Maduro und ruft zum Marsch auf seinen Amtssitz auf. Letzte Vermittlungsinitiative.
Buenos Aires/Caracas. Im Zentrum von Caracas steht der Palacio de Miraflores, der schwer bewachte Amtssitz des Präsidenten Nicolás Maduro. Dorthin will Venezuelas Opposition am Donnerstag marschieren. Wird das der Sturm auf die bolivarische Bastille? Oder doch der Weg in Venezuelas Verderben?
Die ausgezehrte bolivarische Republik steht am Rand eines Bürgerkrieges, seit der Nationale Wahlrat CNE das Abwahlreferendum gegen Präsident Nicolás Maduro suspendiert hat. Damit will die Opposition Neuwahlen erzwingen, was jedoch nur gelänge, wenn das Votum noch dieses Jahr stattfände.
Der CNE setzte das Votum „bis auf Weiteres“ aus, womit wohl der Sankt-Nimmerleins-Tag gemeint sein dürfte. Die Opposition rief darauf die von ihr dominierte Nationalversammlung ein, die wiederum die Bürger zum nationalen Widerstand gegen die „Diktatur“ aufforderte. Im Parlament wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet, obwohl Venezuelas Verfassung kein Impeachment vorsieht. Inzwischen bewegen sich also die Regierung und ihre Gegner jenseits der Konstitution, was freilich keine Seite davon abhält, der jeweils anderen Verfassungsbruch vorzuwerfen.
Für vergangenen Mittwoch trommelten die Regierungsgegner zur „Einnahme Venezuelas“ und für den Freitag zum Generalstreik. Beide Aufrufe wurden befolgt, am Mittwoch marschierten Hunderttausende, es gab etwa 100 Verletzte und 170 Festnahmen. Oppositionsführer Henrique Capriles versicherte, dass „heute 30 Millionen Venezolaner hinter uns stehen“. Doch das könnte eine weitere Selbsttäuschung sein. Dutzende Male überschätzte die Opposition ihre Kräfte.
Die Uhr tickt für Maduro
Die 2008 konstituierte Mesa de la Unidad Democrática (MUD) aus derzeit 18 Parteien eint einzig das Ziel, die Herrschaft der Chavistas zu beenden. Doch wie und wann, ist seit Jahren Gegenstand heftiger Dispute, die sich zudem oft an persönlichen Eitelkeiten aufheizten. Lang war die MUD für Maduro die beste Opposition, die er sich nur wünschen konnte: uneins und unfähig.
Dennoch: Maduros Uhr tickt immer lauter. Die Währungsreserven sind so niedrig wie in den späten 1990er-Jahren, ehe Hugo Chávez an die Macht kam. In Brasilien, Argentinien und Peru regieren nun erklärte Kritiker, und inzwischen rumort es auch innerhalb des chavistischen Lagers.
Dass sich der Hüne Maduro noch halten kann, hat vor allem zwei Gründe: Erstens weiß er die Spitzen der Streitkräfte hinter sich. Viele Generäle sind reich geworden in den vergangenen Jahren. Für so manchen würde ein Ende der Revolution den Anfang einer Gefängniskarriere bedeuten. Und Maduro hat einen zweiten Verbündeten: Barack Obama. Der US-Präsident, der die Kuba-Blockade beendet hat, will unter keinen Umständen seinen Hinterhof mit einem Großfeuer übergeben. Seit Monaten animierten die USA diskret die Vermittlungsmission des spanischen Ex-Präsidenten José Luis Rodríguez Zapatero und der Ex-Mandatare aus Panama und der Dominikanischen Republik. Monatelang versuchten diese, die Regierung zum Referendum zu bewegen – und ernteten dessen Suspendierung. Die Vermittlungen halfen allein Maduro, Zeit zu gewinnen. Dieses Szenario könnte sich nun wiederholen.
Sonntagabend begannen neue Verhandlungen, diesmal unter der Leitung zweier Emissäre des Papstes, auch Zapatero sitzt am Tisch. Am Montag kam auch noch US-Vizeaußenminister Thomas Shannon.
Geste des guten Willens
Die Initiative kam der Opposition nicht wirklich gelegen. Lang hat sie vergeblich um die Vermittlung des Vatikans gebeten. Nun, da diese endlich kommt, sind nur drei der 18 MUD-Mitglieder bereit, mit Maduro zu verhandeln.
Dieser ließ zu Wochenanfang vier Regimegegner frei, als Geste guten Willens. Er möchte unbedingt den Marsch auf Miraflores stoppen, noch ehe dieser beginnt. Doch die Opposition will ihr letztes Druckmittel nicht preisgeben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)