Marokko: „Wollen nicht mehr erniedrigt werden“

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Nach dem gewaltsamen Tod eines Fischhändlers erschüttern Massenproteste das Land. König Mohammed versucht zu kalmieren und lässt Verdächtige verhaften.

Rabat/Madrid. „Wir wollen nicht länger erniedrigt werden“, riefen sie. Zehntausende junge Marokkaner gehen seit Tagen auf die Straße und demonstrieren gegen Behördenwillkür, Korruption und Armut. Der dramatische Tod eines Fischhändlers, der von einer Müllpresse zu Tode gequetscht wurde, entzündet die größten Demonstrationen, die Marokko seit dem Arabischen Frühling vor fünf Jahren erlebt hat.

Das Epizentrum der Proteste liegt in der nördlichen Region Al-Hoceima, wo viele Berber, die Urbevölkerung Marokkos, leben. Dort kam der 31-jährige Fischverkäufer Mouhcine Fikri um. Laut Augenzeugen hatten Polizisten Fikris Wagen gestoppt und eine Ladung Schwertfisch beschlagnahmt, den der Mann im Hafen erworben hatte, für den derzeit aber ein Fangverbot besteht. Die Beamten sollen angeblich zunächst Schmiergeld verlangt haben, warfen den Fisch dann in einen Müllwagen – Fikri sprang hinterher. Als der Fahrer die Müllpresse – offenbar auf Befehl – in Gang setzte, wurde Fikri zermalmt.

Proteste auch in Rabat

Grausame Bilder in sozialen Netzwerken, auf denen zu sehen ist, wie der Fischhändler im Müllschredder steckt, empören die Menschen. „Mörder, Mörder“, riefen Tausende, die nach dem tödlichen Zwischenfall an der Beerdigung Fikris im Ort Imzouren teilnahmen. „Wir sind alle Mouhcine.“ Marokkos König Mohammed wurde angekreidet, mit seinem autoritären Herrschaftsapparat mitschuldig am Tod von Mouhcine Fikri zu sein. Die Demonstrationen breiteten sich bis in die Hauptstadt Rabat aus. In Marrakesch, wo von 7. bis 18. November die UN-Weltklimakonferenz stattfindet, stand auf Plakaten: „Willkommen zum Gipfel, wir zerfleischen die Menschen hier.“

Ein ähnlicher Vorfall hatte vor mehr als fünf Jahren in Tunesien eine Revolution gegen die Diktatur ausgelöst, die auf mehrere Nachbarländer übergriff: der Arabische Frühling. Damals hatten Polizisten den Händler Mohamed Bouazizi (26) schikaniert, der sich daraufhin selbst anzündete und starb.

Der neue Zwischenfall lenkt den Blick auf Marokkos Demokratiedefizite: König Mohammed ist immer noch der starke Mann, Amtsmissbrauch und Korruption sind an der Tagesordnung, der Arabische Frühling ist weitgehend wirkungslos geblieben. „Mit diesen Protesten wollen die Marokkaner ihrer Regierung sagen, dass sie genug haben von der Straflosigkeit und dem Machtmissbrauch“, sagte Samir Bennis, Chefredakteur der Onlinezeitung Morocco World News, dem TV-Sender al-Jazeera.

Derweil bemüht sich König Mohammed, die Wellen des Zorns zu glätten. Er schickte den Innenminister zur Familie des Fischhändlers, um sein Beileid zu übermitteln. Das Innenministerium meldete elf Festnahmen, darunter mehrere Polizisten und Mitarbeiter der örtlichen Fischereibehörde, die offenbar beim Handel mit Schwertfisch willkürliche Kriterien angelegt hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)

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