Appell aus Kanada: „Liebes Amerika, wählt nicht Trump!“

Supporters stand in line as they arrive to attend a rally with Trump in a cargo hangar at Minneapolis Saint Paul International Airport in Minneapolis
Supporters stand in line as they arrive to attend a rally with Trump in a cargo hangar at Minneapolis Saint Paul International Airport in Minneapolis(c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
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Stimmen der Nachbarn. Der republikanische Präsidentschaftskandidat ist in Kanada extrem unpopulär. Premier Trudeau hält sich noch bedeckt.

Hillary Clinton und ihre Demokraten würden Donald Trump klar besiegen – falls Kanada zu den USA gehören würde. Eine große Mehrheit der Bürger des nördlichen Nachbarn der Vereinigten Staaten empfindet tiefe Abneigung gegen den US-Politiker, unter anderem wegen seiner von vielen als rassistisch und sexistisch empfundenen Ausfälle. Angesichts des zuletzt schwindenden Vorsprungs von Clinton appellieren kanadische Medien gar Richtung Süden gerichtet, Trump bitte nicht zu wählen.

Es gibt keine ganz aktuelle Umfrage, wie Kanadier über die US-Wahl denken, aber Erhebungen im Sommer bestätigten die anhaltend negative Einstellung zu dem New Yorker Geschäftsmann. Im August veröffentlichte Umfragen haben ergeben, dass rund drei Viertel der Kanadier ein negatives Bild von Trump haben und die Möglichkeit, dass er ins Weiße Haus einziehen könnte, „sehr“ oder „einigermaßen“ besorgt sehen. 73 bis 80 Prozent der Kanadier würden Hillary Clinton wählen. Selbst im eher konservativen westlichen Bundesstaat Alberta kam Trump nur auf eine Zustimmung von 26 Prozent.

Vertrauen in das Politsystem der USA

In der Hauptstadt Ottawa macht sich Unsicherheit über den Ausgang der Wahl breit. Premierminister Justin Trudeau, ein Liberaler, gab sich am Donnerstag zum ersten Jahrestag seiner Vereidigung zwar betont ruhig, als er auf einer Pressekonferenz sagte: Es sei normal, dass es mit jedem Wechsel im Weißen Haus Veränderungen und die Notwendigkeit der Anpassung gebe. Er lehnte es aber ab, sich auf hypothetische Fragen einzulassen, welche Folge denn der Wahlausgang in die eine oder andere Richtung zeitigen könne: „Ich habe Vertrauen in den politischen Prozess in Amerika und versichere den Kanadiern, dass ich mit demjenigen, der gewählt wird, arbeiten und Kanadas Interessen vertreten werde.“

Es ist für die 36 Millionen Kanadier schwer vorstellbar, dass ihr für sein freundliches Auftreten bekannter, 44-jähriger Premier mit einem Poltergeist wie Trump auf einer Bühne stehen und Hände schütteln könnte. Frühere Aussagen Trudeaus deuten indes an, was er von Trump hält: Mitte Oktober etwa sagte er auf dem Höhepunkt der Kontroverse über Trumps Verhalten gegenüber Frauen: „Ich bin in meiner Einstellung als Feminist sehr klar als einer, der sein ganzes Leben deutlich bei Themen wie sexueller Belästigung und bei seiner Haltung gegen Gewalt gegen Frauen war, sodass ich dazu keine weiteren Kommentare abgeben muss.“

Trudeau steht für Offenheit und Toleranz, lehnt Abschottung ab und sieht in ethnischer und kultureller Vielfalt einen Gewinn für ein Land. Im Frühjahr hatte die „Washington Post“ Trudeau als „Anti-Trump“ beschrieben. Darüber hinaus sorgt sich Kanada, das auf Handel mit den USA angewiesen ist, über Trumps negative Haltung zum nordamerikanischen Handelsvertrag Nafta. Die ständig wechselnden Aussagen Trumps über die Nato und das nordamerikanische Luftraumverteidigungssystem Norad (North American Aerospace Defense Command), eine Einrichtung der USA und Kanadas, die unter anderem den Weltraum überwacht und vor Atomraketen und Bombern warnen soll, sowie sein Lob für Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, lösen Kopfschütteln in Ottawa aus.

„Wir drücken den Panikknopf“

„Ausländische Regierungen wollen sich in eure Demokratie nicht einmischen, deshalb können sie nicht sagen, was sie wirklich von Trump halten. Wir aber können es. Wir sind entsetzt“, schrieb die Tageszeitung „Globe and Mail“ in ihrem Leitartikel namens „Liebes Amerika: Bitte wählt nicht Trump“. Es sei nicht zu verstehen, dass US-Bürger bei der Wahl zwischen einem „leicht mangelhaften“ Kandidaten (gemeint ist Clinton) und einem, der mit einer „explosiven Mischung aus schlechten Ideen, ohne Kenntnisse und keinerlei Selbstkontrolle hausieren geht“, Probleme hätten, sich zu entscheiden. Mit der Wahl Trumps könnten die USA zwar Putin und die Hardliner in China erheitern. „Aber der Rest, eure Freunde und Alliierten in der freien Welt, wir drücken den Panikknopf“.

Ähnlich urteilt das frankophone „Journal de Montréal“: „Président Trump? Non merci.“ Trump wäre eine „Katastrophe“.

Comic über Massenflucht nach Norden

Mit Trump habe die ehrwürdige Republikanische Partei einen „in fast unvorstellbarem Maß ungeeigneten Kandidaten nominiert“, der keine Bindungen an herkömmliche politische Moral und zivile Tugenden habe, so der kanadische Staatsrechtler Eric Adams, Universität Alberta. Das Magazin „The Economist“ bezeichnete in einem die kanadischen Verhältnisse etwas beschönigenden Text Kanada als „die letzten Liberalen“ und zeigt die Freiheitsstatue umkränzt von einem roten Ahornblatt, dem Symbol Kanadas. „Die Freiheit zieht nach Norden“, so der Economist.

Der „Ottawa Citizen“ nahm die kürzlich angekündigte Aufstockung der Zahl der aufzunehmenden Einwanderer zum Anlass, eine Verbindung zur US-Wahl zu ziehen: Der Karikaturist sieht nach einer Trump-Wahl Scharen von US-Amerikanern, die sich an der kanadischen Grenze stauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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