Türkei: "Nazi-Herrschaft" oder "Kampf gegen Nazis"

Türkische Polizisten inhaftieren einen kurdischen Demonstranten.
Türkische Polizisten inhaftieren einen kurdischen Demonstranten.APA/AFP/YASIN AKGUL
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Luxemburgs Außenminister fordert Sanktionen gegen Ankara und spricht von "Nazi-Methoden". Der türkische EU-Minister sieht eher einen "Kampf gegen Nazis".

Jean Asselborn hat zuerst die Nazi-Gräuel als Vergleich für die Situation in der Türkei bemüht. Zum Vorgehen gegen Regierungsgegner unter dem von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ausgerufenen Ausnahmezustand sagte Asselborn im Deutschlandfunk: "Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden."

Und die Reaktion aus der Türkei ließ nicht lange auf sich warten. Der türkische EU-Minister Ömer Celik drehte den rhetorischen Spieß um. Das Vorgehen gegen Terrorverdächtige in der Türkei sei eher mit dem "Kampf gegen die Nazis" vergleichbar, sagte Celik am Montag nach einem Treffen mit EU-Botschaftern in Ankara.

Bis auf vereinzelt kritische Äußerungen einzelner Regierungschefs und Außenminister - Kern, Kurz, Asselborn - blieb die EU eine gemeinsame Reaktion bisher schuldig. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Regierung in Ankara seien bereits jetzt "theoretisch" ausgesetzt, sagte Asselborn, der am Montag zudem mögliche Wirtschaftssanktionen gegen Ankara ins Spiel brachte.

"Das ist ein absolutes Druckmittel"

"50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union", sagte der Minister. "60 Prozent der Investitionen in die Türkei kommen aus der Europäischen Union. Das ist ein absolutes Druckmittel. Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren."

Asselborn gab zu einem möglichen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zu bedenken, "dass es Millionen Menschen in der Türkei gibt, die glauben, dass die einzige Hoffnung, um aus diesem Loch herauszukommen, die Europäische Union ist".

Der türkische EU-Minister spricht von einem "zerbrechlichen Punkt" der Beziehungen. Die Beitrittsverhandlungen abzubrechen, sei "rassistisch", so Celik. Es sei "nicht akzeptabel", dass "einige unserer Freunde in Europa in einem Satz sagen, dass sie an unserer Seite stehen, und dann neun kritische Sätze folgen". Angesichts der scharfen Kritik hatte Celik die EU-Botschafter in Ankara am Montag zu einem außerplanmäßigen Treffen eingeladen.

Berlin gegen Türkei-Sanktionen

Deutschland hingegen unterstützt nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert derzeit keine Überlegungen über EU-Sanktionen gegen die Türkei. "Die Bundesregierung beteiligt sich jetzt nicht an einer Sanktionsdebatte", sagte Seibert am Montag in Berlin. Nötig sei jetzt eine "klare und gemeinsame europäische Haltung" zur Türkei.

"Dafür ist es richtig, Gesprächskanäle offenzuhalten." So würden sich die EU-Botschafter heute mit dem türkischen Europaminister treffen. Dabei würde auch die Schicksale von in der Türkei Festgenommenen angesprochen. "Das ist der richtige Weg, um zu zeigen, wo die europäische Solidarität liegt, nämlich bei denen, die für einen pluralistischen und demokratischen Staat in der Türkei eintreten", sagte Seibert.

Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen, müssten die EU-Beitrittsgespräche beendet werden, fügte Seibert hinzu.

Kurz: Türkei-Politik der EU "kann nicht funktionieren"

Außenminister Sebastian Kurz kritisierte am Montag die Vorwürfe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Europa sei verantwortlich für den Terror in seinem Land. "Es sind absurde Vorwürfe und die Antwort der europäischen Union muss eine klare sein", sagte Kurz im Ö1-Morgenjournal. Bei der kommenden Sitzung der Außenminister der Europäischen Union müsse es ein "ganz klares Signal der EU auf die Entwicklung in der Türkei" geben.

Die Forderung von Bundeskanzler Christian Kern, der Türkei den Geldhahn im Rahmen des Flüchtlingsdeals mit Brüssel zuzudrehen, sei "eine logische Konsequenz". Vonseiten der EU gebe es, wie im Flüchtlingsdeal vereinbart, nach wie vor die Zusage, die Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger umzusetzen, die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen und Ankara mit drei Milliarden Euro finanziell zu unterstützen. "Das entspricht einfach nicht der Situation in der Türkei", sagte Kurz.

(red./APA/Reuters/AFP/dpa)

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