Gabriels Coup und Merkels Not

Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist als nächster Bundespräsident im Gespräch – auch bei Kanzlerin Angela Merkel.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist als nächster Bundespräsident im Gespräch – auch bei Kanzlerin Angela Merkel. (c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Seit die SPD Frank-Walter Steinmeier als nächsten Bundespräsidenten vorgeschlagen hat, sucht die Union verzweifelt nach einer Alternative. Bisher erfolglos. Bis Freitag ist noch Zeit.

Berlin. Die Begeisterung der Parteifreunde hielt sich in ziemlich engen Grenzen, als Sigmar Gabriel vor zwei Wochen Außenminister Frank-Walter Steinmeier als nächsten Bundespräsidenten vorschlug. Warum, fragte man sich, spielt Gabriel die beste Karte der SPD aus, wenn noch keine anderen auf dem Tisch liegen? Damit würde Steinmeier, einer der populärsten Politiker des Landes, doch nur verheizt.

Inzwischen sieht man das anders. Mittlerweile honorieren auch Gabriels Kritiker in den eigenen Reihen (und davon gibt es nicht gerade wenige), dass es dem Parteichef gelungen ist, Kanzlerin Angela Merkel unter Druck zu setzen. Wenn nicht sogar zu überrumpeln. Denn die Union hat noch immer keinen Kandidaten gefunden, der die beiden wichtigsten Kriterien für das Bundespräsidentenamt erfüllt: Erstens muss er den Job können. Und zweitens in der Lage sein, bei der Wahl am 12. Februar eine Mehrheit in der Bundesversammlung, die sich je zur Hälfte aus den Abgeordneten des Bundestages und Vertretern der 16 Bundesländer zusammensetzt, zu bekommen.

Norbert Lammert wäre eine solche Person gewesen: erfahren, integrativ, rhetorisch brillant und in allen politischen Lagern anerkannt. Doch der Bundestagspräsident ließ sich in den vergangenen Tagen weder von Merkel noch von CSU-Chef Horst Seehofer erweichen. Lammert will Wort halten und nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres in Politpension gehen.

Schwierige Suche in der Union

Viele adäquate Alternativen hat Merkel nicht. Ursula von der Leyen wurde zuletzt genannt. Aber dann müsste die Kanzlerin auf eine fähige Ministerin (derzeit im Verteidigungsressort) verzichten. Das Gleiche gilt für Finanzminister Wolfgang Schäuble. Außerdem ist der 74-Jährige nur um zwei Jahre jünger als Amtsinhaber Joachim Gauck.

Erschwerend kommt hinzu, dass kaum jemand in der Union große Lust verspürt, in eine Kampfkandidatur mit Steinmeier geschickt zu werden. Denn der Außenminister darf sich gute Chancen ausrechnen – spätestens im dritten Wahlgang, wenn eine relative Mehrheit genügt. Die Grünen können sich vorstellen, ihn zu wählen, auch wenn ihnen Gabriels vorlautes Manöver nicht gefallen hat. Die Linkspartei hat zwar wegen Steinmeiers tragender Rolle bei den Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder Vorbehalte gegen ihn. Andererseits gefällt ihnen seine eher russlandfreundliche Politik.

Dahinter könnte auch eine taktische Überlegung stehen: Würde Steinmeier mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken gewählt, hätte das im Hinblick auf die Bundestagswahl durchaus Signalwirkung, nämlich eine rot-rot-grüne. Und das wäre im Sinne der Linkspartei, die mitregieren möchte.

Merkel befindet sich also in der Defensive, und es wird nicht leicht, da wieder herauszukommen. Am Freitag ist ein finales Treffen mit Gabriel und Seehofer geplant, bei dem die Entscheidung fallen soll. Findet die Kanzlerin bis dann niemanden, der gegen Steinmeier bestehen kann, bleiben ihr nicht viele Möglichkeiten. Eine wäre ein schwarz-grüner Kandidat wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Mit den Grünen hätte die Union eine absolute Mehrheit. Allerdings leistet Seehofer hier Widerstand. Vor der Bundestagswahl will die CSU lieber nicht mit den Grünen in Verbindung gebracht werden.

Theoretisch könnte sich die Kanzlerin mit Gabriel noch auf einen Kompromisskandidaten einigen, wie man ursprünglich eigentlich geplant hatte. Doch alle, die infrage gekommen waren, etwa Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, haben abgesagt. Und deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass der gemeinsame Kandidat am Ende Frank-Walter Steinmeier heißt. Persönlich kann der Außenminister sowohl mit Merkel als auch mit Seehofer gut. Allerdings dürften sich die Unionsspitzen damit neue Kritik einhandeln. In den eigenen Reihen würden viele nicht verstehen, warum man den Sozialdemokraten kampflos das Feld überlässt. Immerhin bringt es die Union auf rund 43 Prozent in der Bundesversammlung, während die SPD auf knapp 31 Prozent kommt.

Schulz als Außenminister?

Gabriel darf sich einstweilen entspannt zurücklehnen. Wie es scheint, ist ihm ein Coup gelungen. Die eigene Partei zollt ihm nun wieder Respekt für dieses taktisch meisterhafte Spielchen. Setzt er Steinmeier dann auch noch als Nachfolger von Gauck durch, wären seine Chancen, nächstes Jahr Kanzlerkandidat der SPD zu werden, schlagartig wieder gestiegen. Sein Kontrahent, EU-Kommissionspräsident Martin Schulz, wäre dann ein Kandidat für die Steinmeier-Nachfolge – im Außenministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)

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