Der Premier droht erneut mit Rücktritt, sollte beim Referendum seine Verfassungsreform abgelehnt werden. In der EU wächst die Angst vor einer Machtübernahme euroskeptischer Kräfte in Rom.
Rom/Wien.Mitten in der heißen Wahlkampfphase nimmt Italiens Premier, Matteo Renzi, den Ausgang des Verfassungsreferendums plötzlich wieder persönlich. In einem Radiogespräch deutete er an, dass er bei einer Ablehnung zurücktreten werde. „Man bleibt an der Macht, um Dinge zu verändern. Wenn aber alles gleich bleibt, sollen jene übernehmen, die gut darin sind, in diesem Sumpf zu treiben“, sagte er. Mit Rücktritt hatte der Premier bereits vor einigen Monaten gedroht – hatte aber später beteuert, auch beim Nein-Sieg im Amt bleiben zu wollen.
Am 4. Dezember sind die Italiener dazu aufgerufen, über eine De-facto-Entmachtung des Senats abzustimmen, der zu einer Art Regionalkammer degradiert werden soll. Renzi sieht dies als Herzstück seiner Reformen an. Er verspricht mehr Stabilität und einen schnelleren Gesetzgebungsprozess. Das Zweikammersystem sei mitverantwortlich, dass Gesetze immer wieder blockiert werden. Renzis Gegner hingegen befürchten eine Einschränkung der Gewaltenteilung und eine Machtkonzentration auf die Regierungspartei als stimmenstärkste politische Kraft in der Abgeordnetenkammer. Als Renzi zu Wahlkampfbeginn großspurig seine politische Zukunft an die Reform geknüpft hatte, saß er noch fest im Sattel.
Diese „Personalisierung“ setzten Renzis Gegner geschickt zu ihren eigenen Zwecken ein: Vor allem Beppe Grillos fundamentaloppositionelle Fünf-Sterne-Bewegung, die ausländerfeindliche Lega Nord und Silvio Berlusconis Forza Italia verwandelten die Abstimmung in ein Votum über den „selbstherrlichen Regierungschef“. Das Kalkül ging auf: Renzi wird in Umfragen für seine „Arroganz“ und ein anhaltend schlechtes Wirtschaftsklima mit hoher Arbeitslosigkeit abgestraft – und zugleich gewinnt das Nein in Befragungen die Oberhand. Hinzu kommt, dass dem Premier ein besonders rauer Gegenwind aus den eigenen Reihen entgegenweht: Die alteingesessene Linke der regierenden Linksdemokraten, die nie ein Geheimnis aus ihrer Antipathie für Renzi machte, wirbt derzeit auch für ein Nein.
Spekuliert wird, dass Renzi angesichts des vergifteten politischen Klimas die Parlamentswahl um ein Jahr vorverlegen wird, also noch auf 2017. Laut derzeitigen Umfragen würden die euroskeptischen und wirtschaftsreformfeindlichen „Grillini“ als stimmenstärkste Partei an die Macht kommen.
Konsequenzen für Euro befürchtet
Die Finanzmärkte und die EU blicken deshalb mit Schrecken auf den 4. Dezember. Denn ein Nein-Sieg würde de facto das vorläufige Ende des Spar- und Reformkurses in der hoch verschuldeten drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone bedeuten, Italien im Wahlkampfmodus wäre politisch gelähmt.
Vor allem die Angst vor einer Machtübernahme der euroskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung dürfte zur Massenflucht aus italienischen Staatsanleihen (und somit einer Verteuerung der Schulden) führen, was die bereits schwächelnde Wirtschaft in die Knie zwingen würde. Mit dramatischen Konsequenzen für den Euro: Investoren erachten es inzwischen als wahrscheinlich, dass Italien noch vor Griechenland die Gemeinschaftswährung verlassen wird. Zumal ein Euro-Austrittsreferendum ganz oben auf der Agenda der „Grillini“ steht. (basta.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)