Armut, Korruption, unerfüllte europäische Hoffnungen und alte Bande nach Moskau: Warum in Bulgarien und der Republik Moldau Putin-freundliche Kandidaten die Präsidentenwahl gewonnen haben.
Budapest. Es war ein Sonntag ganz nach dem Geschmack des Kreml. Sowohl in der Republik Moldau als auch in Bulgarien gewannen prorussische Kandidaten die Präsidentenwahlen. Igor Dodon, der Triumphator in Chişinau, kündigte baldige Sondierungsgespräche in Moskau an, um dort eine strategische Partnerschaft festzuzurren. Die Moldauer seien enttäuscht von den leeren Versprechungen prowestlicher Politiker.
Lauter noch, wie ein Donnerschlag, hallte der Urnengang in Bulgarien in der EU nach. Sieger war Rumen Radew, ein ehemaliger Luftwaffenchef, der für „pragmatische Beziehungen zu Russland“ eintritt und eine Balance zur EU- und Nato-Mitgliedschaft Bulgariens schaffen will.
Es ist ein Mantra, das vielerorts im früheren Ostblock zu hören ist. Ausnahmen sind Länder, die sich von Russlands neuem Expansionsstreben in der Region direkt bedroht fühlen: Polen und das Baltikum, in gewissem Grad auch Rumänien.
Für die neue Russophilie im Osten Europas gibt es handfeste Gründe, die jedoch von Land zu Land verschieden ausgeprägt sind. In Moldau schürte die Unzufriedenheit mit der korrupten und zerstrittenen prowestlichen Regierung vor allem auf dem Land und bei Alten die Sehnsucht nach „guten alten“ Sowjetzeiten. Armut und wirtschaftliche Stagnation haben die Hoffnung auf eine bessere – europäische – Zukunft gedämpft und in manchen Fällen erstickt.
In Bulgarien keimt bei vielen ebenfalls wieder Russland-Nostalgie auf. Auch dort hat sich das europäische Versprechen nicht erfüllt. Zudem verblasste die Regierungskandidatin Zezka Zatschewa im Vergleich zum schneidigen Ex-Kampfpiloten Radew.
Abhängig vom russischen Gas
Und dann gibt es da noch zwei Faktoren: Energie und Außenhandel. Die EU-Sanktionen gegen Moskau wegen seiner aggressiven Ukraine-Politik schaden der Region. Die Einbußen schmerzen die relativ armen Länder im Osten mehr als den reichen Westen.
Sie hängen überdies weit mehr von russischem Erdgas ab, Bulgarien ganz besonders. Lange Zeit waren diese Länder daher am South-Stream-Projekt interessiert, einer Pipeline nach Südosteuropa, die die Ukraine umgehen würde, damit Russland Letztere energiepolitisch erwürgen kann. Das Projekt führte zu massivem Druck auf die Ostmitteleuropäer durch die USA und die EU, bis der Plan scheiterte. Da zugleich Deutschland selbst unter Umgehung der Ukraine russisches Gas bezieht, wuchs die Bitterkeit in der Region über eine vermeintliche Verlogenheit der „Westler“. Inzwischen will Russland über ein neues Projekt namens Turkish Stream Gas liefern. Eine Version sieht vor, dieses Gas erst in die Türkei, dann über Griechenland weiterzuleiten – aber Bulgarien zu umgehen, vermutlich, weil das Land sich bisher brav an der EU und der USA orientiert.
Reinkarnation des „Ostblocks“
Das könnte sich ändern, wenn sich Bulgarien für einen neuen Pragmatismus im Umgang mit Russland entscheidet. Donald Trumps Sieg bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen könnte da neue Räume öffnen. Trump hat nichts dagegen, wenn jemand mit Russland Geschäfte machen will.
All dies bildet die Kulisse für die Entstehung neuer Kräfteverhältnisse in Europa, in mancher Weise eine Reinkarnation des russischen „Einflussgebiets“ in Teilen des früheren Ostblocks. Dass Russland dies will, ist kein Geheimnis, und auch die Machtmittel sind deutlich sichtbar. Dazu gehört auch eine Destabilisierung der EU durch Unterstützung radikaler Kräfte, links wie rechts.
Den Verein der Freunde Putins führt in Europa Ungarns Premier, Viktor Orbán, an, der sich übrigens auch als Erster noch während des US-Wahlkampfs offen an Trumps Seite gestellt hat. Auch anderswo darf Putin auf starke Unterstützung zählen, in Serbien etwa oder auch im serbischen Teil Bosniens.
Moskau befeuert Kulturkampf
Im Ringen um Einfluss bringt zudem ein Kulturkampf Russlands Interessen in Europa voran. Religion, Familie, Vaterland – statt Homosexuellen-Ehe und offener Grenzen: Das kommt nicht nur in Osteuropa gut an, auch angesichts der Ängste, die die Migrationskrise ausgelöst hat.
Neue Munition in der Schlacht um Meinungen bieten täglich Internetseiten, die Russland in allen Ländern des früheren Ostblocks betreibt, um zum Teil mit Halbwahrheiten und Lügen Europa zu zersetzen.
Im Grundgedanken selbst – Politik als Wahrung nationaler Interessen – enthält diese russische Werteoffensive aber eine Art Notbremse. Da die russische Interessenpolitik aggressiv und expansiv ist, löst sie überall dort heftigen Widerstand aus, wo sie andere Länder dominieren will. Derzeit sind das Polen und die baltischen Staaten.
AUF EINEN BLICK
Bei den Präsidentenwahlen in der Republik Moldau und beim EU-Mitglied Bulgarien siegten am Sonntag jeweils prorussische Kandidaten.
In der Republik Moldau entfielen auf den 41-jährigen Igor Dodon 52,2 Prozent der Stimmen, auf seine Gegenkandidatin, Maia Sandu, 47,8 Prozent.
In Bulgarien siegte der Militär Rumen Radew (59,35 Prozent) vor der Regierungskandidatin Zezka Zatschewa (36,14 Prozent). Die Regierung von Premier Bojko Borissow trat angesichts des Ergebnisses wie angekündigt zurück.
In Moskau reagierte der Kreml erfreut über das Wahlergebnis in den beiden Staaten. Russland hofft nun auf die Verwirklichung von Energieprojekten und mehr wirtschaftliche Kooperation.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)