Wenn die Religion zum Vorwand für den Jihad wird

Ibrahim Abou-Nagie gilt als Anführer des Vereins "Die wahre Religion".
Ibrahim Abou-Nagie gilt als Anführer des Vereins "Die wahre Religion".APA/dpa/Henning Kaiser
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Die deutschen Behörden lösen einen islamistischen Verein auf, der „Gotteskrieger“ angeworben hat - und auch Koran-Verteilaktionen durchgeführt hat.

Berlin. Oberflächlich betrachtet haben die Mitglieder des Vereins "Die wahre Religion" nur Ausgaben des Koran in deutschen Städten verteilt – kostenlos. „Lies“ nennt sich diese Kampagne. In Wahrheit wurden bei diesen Aktionen junge Menschen für den „heiligen Krieg“ rekrutiert. Mindestens 140 sind – nach Angaben des Innenministeriums – den Verführungen erlegen und wenig später nach Syrien oder in den Irak gereist, um sich dort extremistischen Organisationen wie dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Viele haben ihr Leben verloren.

Am Dienstag wurde der Verein aufgelöst und verboten. In den frühen Morgenstunden rückten Polizisten in zehn Bundesländern, schwerpunktmäßig in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern, zu einer Großrazzia aus, die seit einem Jahr vorbereitet worden war. Fast 200 Gebäude wurden durchsucht, unter anderem Moscheen, Wohnungen, Büros und Lagerhallen. Verhaftungen gab es allerdings keine. Es ging den Ermittlern darum, Beweise zu sammeln und Vereinsvermögen zu beschlagnahmen.

Die Vereinigung vertrete einen totalitären Anspruch, heißt es in der Verbotsverfügung des Innenministeriums. Sie befürworte einen bewaffneten Jihad und stelle ein „bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für Islamisten“ dar. „Wir wollen nicht, dass für Terrorismus in Deutschland geworben wird“, begründete Innenminister Thomas de Maiziere das Verbot am Nachmittag in Berlin. „Und wir wollen auch nicht, dass Terrorismus exportiert wird.“

Anführer im Ausland

Der Verein "Die wahre Religion" wurde 2009 gegründet und hat über 500 Mitglieder, die sich in Deutschland auf rund 60 Initiativen verteilen. Ihr Anführer ist Ibrahim Abou-Nagie, ein aus Palästina stammender Deutscher. Im Februar wurde er vor dem Amtsgericht Köln zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem er für sich und seine Familie Sozialleistungen über rund 53.000 Euro kassiert hatte, obwohl sie ihm nicht zustanden. Außerdem verschwieg der dreifache Vater Nebeneinkünfte und Konten. Spenden für seine globalisierte Koranaktion, die es mittlerweile in 15 Staaten gibt, darunter Österreich, Frankreich, Großbritannien und Brasilien, verwendete er zum Teil für sich selbst.

Derzeit dürfte sich der 52-Jährige in Malaysia aufhalten, wohin er zuletzt expandiert hat. In einer der letzten Videobotschaften steht Abou-Nagie auf der Brücke der Stadt Putrajaya, beschreibt sein aktuelles Projekt und zieht dann über die Heimat her: „Nur in Deutschland haben wir es mit barbarischen Politikern zu tun, die einfach keine Moralwerte mehr besitzen und auf Rambo spielen.“ In einem früheren Video meinte er einmal: „Die Demokratie ist gegen den Islam. Und das Gegenteil des Islam.“ Wer die Scharia leugne und die Demokratie akzeptiere, sei ein Ungläubiger.

Kritik an Razzia in Moscheen

Auf seiner Facebook-Seite behauptete der Verein am Dienstag, dass in Deutschland nun der Koran verboten worden sei. Später wurde der Eintrag gelöscht. De Maiziere sagte, das Verbot ziele nicht auf die Verbreitung des islamischen Glaubens und auch nicht auf die Verteilung von Koranausgaben ab. Muslimisches Leben habe „einen festen und gesicherten Platz in Deutschland“. Verboten werde nur „der Missbrauch einer Religion durch Personen, die unter dem Vorwand, sich auf den Islam zu berufen, extremistische Ideologien propagieren.“ Es ist das zweitgrößte Verfahren dieser Art – nach dem Verbot des „Kalifatstaates“ im Jahr 2001.

Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), mahnte später „mehr Augenmaß“ bei der Verfolgung von Islamisten ein. Es dürfe nicht heißen, da werde willkürlich in Moscheen eingedrungen. Denn das hinterlasse Spuren, auch bei jungen Menschen. „Da werden natürlich schnell auch Verschwörungstheorien wach, was man eigentlich als Staat mit diesen Menschen macht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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