"Die Menschen in Saudiarabien haben genug"

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Politikwissenschaftlerin Elham Manea über die prekäre Menschenrechtslage in dem Golfstaat und das Schicksal des Bloggers Raif Badawi.

Die Presse: Weil er für Religionsfreiheit eingetreten ist, wurde der Blogger Raif Badawi in Saudiarabien zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt. Die ersten 50 Hiebe hat er 2015 erhalten, der Rest wurde vorläufig ausgesetzt. Wie geht es ihm derzeit im Gefängnis?

Elham Manea: Gesundheitlich geht es ihm nicht gut. Er hat akute Nierenprobleme und braucht medizinische Unterstützung. Wir wurden nun alle sehr überrascht von der Nachricht, dass er erneut ausgepeitscht werden könnte. Dass ein saudischer Prinz im gleichen Gefängnis ausgepeitscht wurde, ist ein schlechtes Zeichen. Religiöse Kräfte wollen ihre Muskeln zeigen.

Was kann von außen getan werden, um Raif Badawi zu helfen?

Man muss über diplomatische Kanäle mit der saudischen Führung sprechen. Aber leider hat das bisher nicht geholfen. Deshalb sollten Maßnahmen wie ein Waffenembargo verhängt werden. Aber am wichtigsten ist, was die Zivilgesellschaft in Europa tut. Sie muss sich einsetzen wie damals die Zivilgesellschaft für Bürgerrechtler in Südafrika. Sie muss sich mit Saudiarabiens Zivilgesellschaft zusammenschließen, die Reformen will.

Ein Waffenembargo fordert auch das EU-Parlament. Aber Saudiarabien ist ein wichtiger Handelspartner. 2015 wurden etwa mit Frankreich Geschäfte über zehn Milliarden Euro abgeschlossen.

Die europäischen Länder müssen erst merken, welchen Schaden Saudiarabien auch in Europa anrichtet. Die Art und Weise, wie Saudiarabien islamistische Bewegungen unterstützt, die hier eine fundamentalistische Lesart des Islam verbreiten, schadet Europa.

Es gab in der saudischen Führung einen Generationswechsel. Zwar ist etwa der junge Verteidigungsminister außenpolitisch ein Falke. Aber könnte dieser Generationswechsel nicht zur Liberalisierung im Inneren führen?

Das habe ich 2015, als die neue Generation an die Macht gekommen ist, auch gehofft. Aber der neue Innenminister, Prinz Mohammed ibn Naif, hat die Hardline-Strategie gegen Reformer umgesetzt. Und Verteidigungsminister Mohammed ibn Salman ist ein Hardliner in der Außenpolitik. Er hat zwar anklingen lassen, dass er Saudiarabien öffnen möchte. Aber sein Interesse gilt dabei vor allem der Wirtschaft. Wir müssen schauen, ob er auch politisch in eine andere Richtung gehen wird. Bei allem Respekt: Ich höre viel, doch ich sehe nichts.

Die saudische Führung argumentiert, dass ohne sie viel radikalere Strömungen an die Macht kommen könnten. Der IS oder al-Qaida bezeichnen ja auch die Mitglieder des saudischen Königshauses als „Ungläubige“, die gestürzt werden müssen.

Das ist eine Politik der Erpressung. Und damit kann man nicht nachhaltig agieren. Auf längere Sicht haben die Menschen in Saudiarabien genug. Es geht ihnen nicht nur schlecht in Bezug auf Freiheit und Menschenrechte. Es geht ihnen auch wirtschaftlich nicht gut. Die Menschen, die jetzt Reformen verlangen, wollen das friedlich umsetzen – und auch innerhalb des Systems. Aber wenn die saudische Regierung ihren jetzigen Weg stur weitergeht, wird das nicht ewig funktionieren. Entweder die saudische Führung reformiert sich, oder es bricht irgendwann eine Welle der Veränderung über sie herein. Und das wird dann nicht friedlich verlaufen.

ZUR PERSON

Elham Manea vertritt die Familie des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi. Die Politikwissenschaftlerin studierte in Kuwait und den USA, verfasste Bücher über Frauenrechte in arabischen Ländern und lehrt an der Uni Zürich. Auf Einladung des Grünen Parlamentsklubs sprach sie in Wien mit der Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, über Badawis Schicksal. Am 25. November findet vor dem Abdullah-Zentrum in Wien die 100. Mahnwache der Grünen für Badawi statt. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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