Lech Kaczyński darf wieder ruhen

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Nach seiner Exhumierung wird der Ex-Präsident heute feierlich bestattet. Mediziner sollen klären, ob die von der Regierung gepflegte Attentatsthese von Smolensk der Wahrheit entspricht.

Warschau. Noch ist die Gruft des Präsidentenpaares Lech und Maria Kaczyński auf der Krakauer Königsburg Wawel leer. Doch heute, Freitag, Abend sollen die sterblichen Überreste der beiden Ehrenbürger wieder bestattet werden. Zuvor wurden die beiden Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk im Jahr 2010 drei Tage lang vom Gerichtsmedizinischen Institut Krakau genauestens untersucht.

Dabei seien bei der Präsidentengattin Maria genau die gleichen Verletzungen beobachtet worden wie bei ihrem Ehegatten Lech, dem damaligen nationalkonservativen Präsidenten Polens. „Es handelt sich um die bei solchen Unfällen üblichen Verletzungen“, berichtete am Donnerstag das Privatradio RMF FM, das der Opposition näher steht als der Regierung. Lechs Zwillingsbruder, Jarosław Kaczyński, der Chef der heutigen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) äußerte sich am Donnerstag zunächst nicht zu den ersten Befunden der Exhumierung.

Zahlreiche dubiose Theorien

Zusammen mit seiner Nichte Marta Kaczyńska, dem heutigen Präsidentenpaar Andrej und Agata Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydlo will er der feierlichen Wiederbeisetzung seines Zwillingsbruders beiwohnen. Seine PiS hatte zuvor jahrelang für die Aufklärung des Flugzeugabsturzes gekämpft. Diese wurde von der liberalen Vorgängerregierung abgeschlossen, wird jedoch von den Kaczyński-Anhängern nicht anerkannt.

Unter ihnen kursieren seit der Flugzeugkatastrophe Verschwörungstheorien, die oft auf einen angeblichen Geheimpakt zwischen dem damaligen polnischen Regierungschef und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und Russlands Präsidenten Wladimir Putin hinauslaufen. Ziel der beiden sei gewesen, den nationalkonservativen Präsidenten Lech Kaczyński zu beseitigen.

Deshalb ist für die PiS-Regierung die Exhumierung Lech Kaczyńskis der Auftakt zu sogenannten wirklichen Untersuchungen an möglichst allen der 96 Absturzopfer von Smolensk. Weil Moskau Wrack und Flugschreiber (Blackboxes) der Präsidenten-Tupolew immer noch zurückhält, sind die Leichenteile die einzigen materiellen Beweisstücke, die untersucht werden können.

Gräber werden geöffnet

Und so sollen ab Dienstag verteilt über die nächsten zwölf Monate auch die übrigen Gräber geöffnet, die Leichen exhumiert und gerichtsmedizinisch untersucht werden. Die Regierung in Warschau erhofft sich davon Hinweise auf die in den langen Oppositionsjahren gepflegte Attentatshypothese. So gibt sich der heutige Verteidigungsminister, Antoni Macierewicz (PiS), überzeugt, dass es noch in der Luft zu zwei Bombenexplosionen gekommen sei, die erst zum Absturz der Tupolew geführt hätten.

Die Präsidentenmaschine Lech Kaczyńskis war am 10. April 2010 bei dichtem Nebel beim Landeanflug auf Smolensk in einem Waldstück unweit des russischen Flughafens zerschellt. Dabei kamen alle 96 Flugzeugpassagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben – darunter Dutzende hohe Staatsbeamte und Generäle. Eine polnische sowie eine russische Untersuchungskommission sahen vor allem Pilotenfehler als Ursache an; die Polen gaben auch dem Tower von Smolensk eine Mitschuld.

Kirche gegen Exhumierung

„Vor sechs Jahren wurden die Ergebnisse der Leichenuntersuchungen in Russland aus unerklärlichen Gründen einfach akzeptiert“, begründet die unter der PiS-Regierung nicht mehr unabhängige Staatsanwaltschaft die Exhumierungen, die unter vielen Polen umstritten sind. Über ihren Sinn ist inzwischen ein wüster Streit entbrannt, so wie auch seit 2010 über die Unfallursache gestritten wurde.

17 Opferfamilien haben ein Protestschreiben an Präsident Duda geschickt; sie wollen ihre Angehörigen nicht exhumieren lassen. Auch katholische Kirchenvertreter protestierten „gegen die Störung der Totenruhe“. Staatsanwaltschaft und Regierung geben sich davon unbeeindruckt. Allerdings sollen zuerst die 83 Leichen exhumiert werden, deren Angehörige mit der Prozedur einverstanden sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2016)

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