Auszug aus dem Strafgerichtshof

Entrance of International Criminal Court is seen in Hague
Entrance of International Criminal Court is seen in Hague(c) REUTERS (REUTERS FILE PHOTO)
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Nach drei afrikanischen Staaten und Russland erwägen nun auch die Philippinen, sich vom ICC in Den Haag abzuwenden. Präsident Duterte will so möglichen Ermittlungen entgehen.

Den Haag/Wien. Offiziell will man am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag nichts von einer Krise wissen. Einen Tag nach der Ankündigung Russlands, seine Unterschrift vom Rom-Statut zurückzuziehen und sich vom Weltstrafgericht abzuwenden, bemühte sich Chefanklägerin Fatou Bensouda demonstrativ um den Anschein von Normalität: Das Gericht werde weiter seinem „wichtigen Mandat“ nachgehen, teilte sie über die Nachrichtenagentur AFP mit. „Wir werden unsere Arbeit fortsetzen.“

Hinter den Kulissen herrscht dagegen sehr wohl so etwas wie Krisenstimmung. Im Oktober hatten zunächst drei afrikanische Staaten angekündigt, sich aus dem ICC zurückzuziehen: Burundi, Gambia und das einstige Gründungsmitglied Südafrika. Am Mittwoch kehrte dann Moskau dem Gericht den Rücken – wenn auch hauptsächlich symbolisch, weil es das Rom-Statut nie ratifiziert hat. Und am Donnerstag ließ der populistische philippinische Präsident, Rodrigo Duterte, wissen, auch er erwäge, die Mitgliedschaft seines Landes zu kündigen. „Warum? Weil diese schamlosen Leute nur auf kleine Länder wie unseres draufhauen.“

Befürworter des Gerichtshofs befürchten nun einen Dominoeffekt, der die angeschlagene Institution weiter schwächen würde. Tatsächlich könnten weitere Staaten, vor allem aus Afrika, ihren Austritt erklären, Kenia etwa, auch Uganda. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al Hussein, sah sich am Mittwoch zu einem leidenschaftlichen Appell veranlasst, den ICC weiter zu unterstützen. „Betrügen Sie nicht die Opfer!“

Die Argumente, die gegen den Strafgerichtshof ins Feld geführt werden, lauten stets ähnlich: Einseitigkeit, Parteilichkeit, ein Instrument „neokolonialer“ Interessen des Westens – Letzteres ein Lieblingsvorwurf afrikanischer Kritiker.

Tatsächlich aber wenden sich vor allem jene von Den Haag ab, die von Ermittlungen selbst betroffen sind oder in Zukunft sein könnten. So hat sich der ostafrikanische Krisenstaat Burundi im Oktober zu diesem Schritt entschlossen, weil Machthaber Pierre Nkurunziza ins Visier der Ermittler geraten ist. Der Gerichtshof hat Vorermittlungen zu den massiven Menschenrechtsverletzungen angestrengt, die sich im Konflikt um eine weitere Amtszeit Nkurunzizas seit dem Frühjahr vergangenen Jahres ereignet haben.

Moskau führte offiziell angeblich einseitige Ermittlungen gegen russische Truppen im Georgien-Krieg 2008 als Grund an, seine Unterschrift zurückzuziehen. Ein Hauptgrund dürften aber auch laufende Vorermittlungen zu Verbrechen im Ukraine-Konflikt sein. Dem neuen philippinischen Präsidenten Duterte könnte ein Verfahren wegen seiner Tötungskampagne gegen Drogendealer und Drogensüchtige drohen, der seit seinem Amtsantritt im Juni mehr als 3000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Der Rassismusvorwurf

Protagonisten der afrikanischen Anti-ICC-Kampagne sind unter anderem der seit 2009 angeklagte sudanesische Präsident, Omar al-Bashir, und sein kenianischer Kollege, Uhuru Kenyatta. Gegen Kenyatta musste die Anklage fallen gelassen werden, weil Zeugen dem Verfahren abhanden kamen, unter anderem durch massive Einschüchterung.

Tatsächlich hat sich der Strafgerichtshof seit seinem Bestehen hauptsächlich mit schlimmsten Verbrechen in afrikanischen Ländern beschäftigt, bis auf den Fall Georgien betreffen alle offiziellen Ermittlungen Afrika, und auch die bisher vier Verurteilten sind Afrikaner. Die Arbeit des ICC in anderen Weltgegenden befindet sich noch im Stadium der Vorermittlungen. In fünf von acht Fällen kam die Initiative zu den Ermittlungen aus dem afrikanischen Land selbst. Trotzdem konnte selbst die Ernennung der Gambierin Bensouda als Chefanklägerin 2012 den Vorwurf der Afrika-Lastigkeit nicht entkräften.

Das weiß man auch in Den Haag und versucht, das Bild langsam zu ändern. Auf der Liste der Vorermittlungen findet sich daher nicht nur der Ukraine-Konflikt, sondern auch mögliche Kriegsverbrechen von Briten im Irak. Und erst am Dienstag erklärte Bensouda, sie erwäge Ermittlungen gegen US-Soldaten und CIA-Agenten, die in Afghanistan gefoltert haben sollen. Die USA haben das Rom-Statut zwar, wie Russland, nie ratifiziert und sind kein Mitgliedstaat, was dem Gerichtshof immer als Schwäche ausgelegt wurde. Der ICC kann aber Verbrechen ahnden, die auf dem Territorium eines Vertragsstaats stattgefunden haben. Afghanistan ist dem ICC 2003 beigetreten.

AUF EINEN BLICK

Der Internationale Strafgerichtshof(IStGH/ICC) in Den Haag hat 2002 die Arbeit aufgenommen. Grundlage dafür ist das 1998 verabschiedete Römische Statut. Der Strafgerichtshof verfolgt Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord. Belangt werden Personen, keine Staaten. Der ICC ist nur zuständig, wenn die nationale Gerichtsbarkeit versagt. 124 Staaten sind bisher dem Rom-Statut beigetreten, darunter 34 aus Afrika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2016)

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