Der „Russiano“ des Premiers

RUSSIA PRESIDENTIAL ELECTIONS
RUSSIA PRESIDENTIAL ELECTIONS(c) EPA (KIRILL KUDRYAVTSEV/POOL)
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Premier Dmitrij Medwedjew will die Kaffeekreation Americano russifizieren. Der einstige Modernisierer und Präsident spielt heute die Rolle eines Beamten ohne Entscheidungskompetenz.

Dieser Tage könnte man glauben, die Welt steht Kopf: Während halb Amerika mit dem Wahlerfolg Donald Trumps hadert, scheint ganz Russland den Triumph des Geschäftsmannes zu feiern. Aus Russland treffen Nachrichten ein wie jene, dass im russischen Provinznest Obninsk, hundert Kilometer südwestlich von Moskau, am heutigen Samstag die erste Pro-Trump-Kundgebung des Landes stattfinden wird. Die Organisatoren wollten ihre „Hoffnung für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und Russland“ ausdrücken, heißt es. Selbstverständlich darf diese Demonstration, anders als viele andere, stattfinden.
Von Maria Sacharowa, Sprecherin des Moskauer Außenministeriums, war in der Talkshow des Kreml-Propagandisten Wladimir Solowjow wiederum zu vernehmen, dass der Wahlsieg Trumps „den Juden“ zu verdanken sei. Bei einem New-York-Aufenthalt habe sie mit „unseren Leuten“ – Mitgliedern der russisch-jüdischen Diaspora – Rücksprache gehalten; die hätten ihr erklärt, doppelt so viel für Trump wie für Hillary Clinton spenden zu wollen. Sacharowas Statement – vorgetragen als launige Anekdote vor dem jüdischen Talkshowhost – zeigt, wie verbreitet das Gerede von der jüdischen Weltverschwörung in Russland ist.

Von Americano zu „Russiano“

Vielleicht ist es nicht ungewöhnlich, dass im heutigen von Nationalismus und Revanchismus getränkten Russland ein Regierungsvertreter ebenfalls auf patriotische Töne umschwenkt, der früher gern seine Technikaffinität, Jugendlichkeit und Weltläufigkeit zur Schau stellte: Premierminister Dmitrij Medwedjew (51).
Vor ein paar Tagen erklärte Medwedjew bei einem Treffen von Vertretern der Eurasischen Wirtschaftsunion, man soll die in Russland beliebte Kaffeevariation Americano (mit Wasser gestreckter Espresso) in „Russiano“ umbenennen. Alles andere halte er auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion für politisch unkorrekt.
Dass Medwedjew im Russland der Gegenwart innerhalb der Regierungsmannschaft eine tragische Figur ist, merkte man nicht nur daran, dass es sogleich im russischen Web Häme setzte, als etwa User mit Verweis auf die angespannte wirtschaftliche Lage im Land vorschlugen, Espresso doch in „Depresso“ umzubenennen.
Niemandem in der Regierung scheint die eigene Rolle so wenig zu behagen wie Medwedjew selbst – jenem Modernisierer, dessen Präsidentschaft vor vier Jahren zu Ende ging und heute wie eine lang vergangene Ära erscheint. Als der Politiker im Herbst 2011 bekannt gab, dass er kein zweites Mal für das Präsidentenamt antreten und Putin wieder übernehmen werde, war das für all jene ein Schlag, die Medwedjew mit seiner Inszenierung von Modernität und gemäßigtem Aufbruch angesprochen hatte.

Feuerwehr ohne Feuerlöscher

Als Premier war Medwedjew von Beginn an eine Lame Duck. Bei gemeinsamen Auftritten mit Präsident Putin, wie etwa zuletzt am Abend der Duma-Wahlen, bekommt der Vorsitzende der Kreml-Partei Einiges Russland kaum Redezeit. Der Premier mit den immer größer werdenden Augenringen hat eine höchst undankbare Aufgabe: Er wird überall dort hingeschickt, wo es brennt, ohne dass er selbst den Brand löschen könnte. Ihm fehlt es schlicht an Macht. Da er ein Händchen für unglückliche Formulierungen hat, ist das allgemein bekannt.
Im Sommer trug sich so eine Szene auf der Krim zu, die kennt in Russland jedes Kind. Bei seiner Visite stellte eine aufgebrachte Pensionistin den Premierminister zur Rede und forderte eine Anhebung ihrer Pension. Der überrumpelte Medwedjew sagt dazu nur: „Es gibt kein Geld . . . Halten Sie durch!“ Der Kabarettist Semjon Slepakow hat daraus sogar ein Lied gemacht, das ein Hit auf YouTube geworden ist.
Das liberale Kreml-Establishment, dessen Hoffnung Medwedjew war, ist heute im Hintertreffen. Ob der Ministerpräsident auf eine baldige Ablöse hoffen kann, ist indes weniger sicher: Als Putins Buhmann hat der 51-Jährige eine Rolle, die er vortrefflich erfüllt.

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