Polizeichefin gibt auf: "Wir konnten nicht alle kündigen"

Ex-Polizeichefin Khatia Dekanoidze kritisierte bei einer Tagung in Wien den mangelnden Reformwillen der Kiewer Regierung.
Ex-Polizeichefin Khatia Dekanoidze kritisierte bei einer Tagung in Wien den mangelnden Reformwillen der Kiewer Regierung. (c) Stanislav Jenis
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Die gebürtige Georgierin Khatia Dekanoidze wurde vor einem Jahr Polizeichefin der Ukraine. Nun trat sie von ihrem Amt zurück. Warum, erklärt sie im „Presse“-Gespräch.

Die gebürtige Georgierin Khatia Dekanoidze war eine von mehreren ausländischen Experten, die von Präsident Petro Poroschenko in die Ukraine eingeladen wurden, um den Reformprozess auf den Weg zu bringen. Die 39-Jährige zählte zum Team von Michail Saakaschwili, dem georgischen Ex-Präsidenten, der seinerseits zum Gouverneur von Odessa ernannt wurde. Dekanoidze wurde erste unabhängige Polizeichefin der Ukraine und mit einer Reform der äußerst unbeliebten, weil äußerst korrupten Sicherheitskräfte beauftragt. Herzstück der Restrukturierung: eine moderne Patrol Police, also Polizeistreife, wie sie zuvor in Georgien nach US-Vorbild eingeführt worden war.

Außer anderen Georgiern (Eka Zgluladze als Vize-Innenministerin, Gesundheitsminister Alexander Kwitaschwili, Vize-Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze) war der gebürtige Litauer Aivaras Abromavičius – Wirtschaftsminister in Arsenij Jazenjuks Kabinett – Ausdruck dieses Aufbruchs. Im Gefolge einer Regierungsneubildung im April 2016 sind die meisten Neo-Ukrainer ihre Posten wieder los: Manche wurden gefeuert, andere traten enttäuscht zurück. Als vorläufig Letzte hat Dekanoidze Mitte November ihren Platz geräumt – nach nur einem Jahr Aufbauarbeit.

Die Presse: Sie waren unter mehreren ausländischen Experten, die in die Ukraine eingeladen wurden und mittlerweile ihren Posten wieder aufgegeben haben. Warum ist es so schwierig, gegen Korruption und politische Einflussnahme vorzugehen?

Khatia Dekanoidze: Der Hauptgrund ist der Mangel an politischem Willen. Der Kampf gegen Korruption benötigt zudem eine Mannschaft, die Korruption auf allen Ebenen zerstören will, nicht nur in der Polizei, sondern in der Justiz, im Bildungsbereich etc. Nach dem Maidan hat die Ukraine die Chance gehabt, in kurzer Zeit radikale Reformen durchzuführen. Leider ist das nicht passiert. Das Land bewegt sich langsam vorwärts.

Wenn Sie Georgien mit der Ukraine vergleichen – was war einfacher?

In Georgien hatten wir ein Team, das die Korruption niederringen wollte. In der Ukraine gibt es eine komplizierte Koalitionsregierung, eine schwierige Situation im Parlament. Gesetze sind schwieriger durchzubringen. Am Maidan haben die Menschen nach Würde verlangt. Es wäre gut, wenn sich die Politiker daran erinnerten.

Warum sind Sie zurückgetreten?

Ich habe die Grundlage für eine neue Polizei geschaffen – das war meine Aufgabe. Aber ich hatte mit drei Problemen zu kämpfen: Es fehlt an Geld, im Justizwesen mangelt es an Kooperation, und es gibt politische Einflussnahme durch Interessengruppen: Etwa wenn jemand zum Gebietschef der Polizei ernannt wird, weil er einer bestimmten Partei angehört. Damit die Polizei wirklich von der Politik unabhängig bleibt, benötigt sie einen politisch unabhängigen Chef.

Der neue kommissarische Chef ist Vadim Trojan, Ihr einstiger Vize und früherer Kommandant des Freiwilligenbataillons Asow. Er war nicht der Vize, den Sie sich gewünscht hatten, oder?

Wir hatten einen Konflikt. Meine Vizes stehen in der Hierarchie unter mir. Er hat dies verletzt und sich dem Innenministerium untergeordnet. Das ist es, was ich politische Einflussnahme nenne.

Was bedeutet es, wenn jemand wie Trojan neuer Chef wird?

Ich hoffe, dass Innenminister Arsen Awakow den Posten bald öffentlich ausschreiben wird. Unsere Partner, die USA und Kanada, haben sich ebenfalls stark dafür ausgesprochen. Bleibt Trojan im Amt, würde das bedeuten, dass die Polizei wieder zu einer Abteilung des Innenministeriums verkümmert.

Wie hat Präsident Poroschenko auf Ihren Rücktritt reagiert?

Er versuchte mich ein kleines bisschen zum Bleiben zu überreden.

Ein kleines bisschen?

Sehen Sie, es ist nicht so, dass mich alle unbedingt behalten wollten. Aber man wusste auch nicht, wer mein Nachfolger werden könnte.

Das Justizsystem scheint im Zentrum so vieler Probleme zu stehen. Wie kann die Ukraine ein Rechtsstaat werden?

Auch im Justizsektor gibt es ein Kaderproblem. Wie kann man etwa gute Richter finden? Es braucht Training und gute Löhne, ohne die kann niemand effektiv arbeiten – sonst ist die Gefahr groß, zu Bestechung oder organisierter Kriminalität verführt zu werden.

Sie haben 12.000 neue Polizisten rekrutiert, dazu gehören vor allem die Streifenpolizisten mit ihren schicken Uniformen. Doch das ist nur ein kleiner Teil von insgesamt 115.000 Beamten. Ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Ja, es ist ein kleiner Teil. Wir hatten leider nicht die Zeit, alle zu kündigen und alle neu zu engagieren. Die Polizei muss ja gegen Kriminalität vorgehen – das ist ihre Aufgabe.

Wie lang wird es dauern, bis die Reform beendet ist?

Mit gutem politischem Willen wird die Runderneuerung vier bis fünf Jahre dauern.

Der zurückgetretene Gouverneur von Odessa, Michail Saakaschwili, plant eine neue Partei namens Hwylja. Sind Sie Teil davon?

Nein. Ich habe noch keinen Plan. Ich muss mich ein wenig ausruhen nach diesem Jahr sehr harter Arbeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2016)

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