Der designierte US-Präsident muss Loyalisten belohnen, Ideologen zufriedenstellen und Kritiker kontrollieren. Das beeinflusst seine Personalauswahl und erklärt die Abschwächung wesentlicher Wahlversprechen.
Washington. „You better believe it“: Kaum ein Versprechen ging Donald Trump während seines erfolgreichen Wahlkampfes öfter über die Lippen. Die Mauer an der mexikanischen Grenze; die Abschaffung des „desaströsen“ Krankenversicherungssystems Obamacare; die Aufkündigung des, zumindest in Trumps Darstellung, gleichermaßen entsetzlichen Pariser Abkommens über den internationalen Klimaschutz und die Abschiebung aller illegalen Ausländer: All das waren Grundpfeiler der populistisch-nationalistischen Plattform, die den 70-jährigen politischen Neuankömmling zum Sieg hievte.
Nur zwei Wochen später scheint Trump mehrere dieser Wahlversprechen bereits relativiert zu haben. Die „große, wunderschöne“ Grenzmauer? Ein Zaun würde es mancherorts auch tun. Weg mit Obamacare? Nach seinem Treffen mit Präsident Barack Obama erwäge er, Teile davon zu erhalten. Das Pariser Klimaabkommen? Er sei offen und werde es sich genau anschauen. Raus mit allen rund elf Millionen Ausländern ohne Aufenthaltstitel? Zwei bis drei Millionen sollen abgeschoben werden, aber nur jene, die Strafrecht gebrochen haben – die anderen könnten voraussichtlich bleiben.
Trump steht wie jeder seiner 44 Vorgänger vor der Einsicht, dass der blumigen Poesie des Wahlkampfes die prosaische Realität des Regierens folgt. Für ihn, der in so gut wie jeder außen-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Frage schon das eine und sein exaktes Gegenteil behauptet hat, ist das Ankommen in der Realität der Staatsgeschäfte besonders herausfordernd. „Wir hatten einen Regierungsplan“, zitierte die „New York Times“ am Donnerstag Josh Bolten, den Leiter der generell als sehr gut geführt angesehenen Amtsübernahme von George W. Bush. „Die Trump-Leute haben keinen, also muss ihr Personal ihn verfassen, während sie ihre Ämter antreten. Das ist machbar, aber es vervielfacht den Grad der Schwierigkeit.“
Trumps Sohn Donald Jr. auf Syrien-Mission
Trumps erste Personalentscheidungen zeigen, wie er Loyalisten zu belohnen, das Parteiestablishment zu befriedigen und parteiinterne Kritiker zu kontrollieren versucht. Jeff Sessions (Justiz), Mike Flynn (Nationaler Sicherheitsberater), Stephen Bannon (Strategieberater) und Ben Carson (Wohnbau) unterstützten ihn früh. Reince Priebus (Kabinettschef), Betsy DeVos (Bildung) und Mike Pompeo (CIA-Direktor) sind wichtige republikanische Operateure. Nikki Haley (UNO-Botschafterin) hatte Trump scharf kritisiert, mit ihrer Ernennung auf einen prestigeträchtigen Posten hat Trump sie als charismatische mögliche Anführerin einer künftigen Parteirevolte weggelobt. Dasselbe würde für Mitt Romney gelten, sollte er ihn als Außenminister vorschlagen.
Trumps Mangel an politischer Erfahrung wird veranschaulicht in seinem Glauben, seine engsten Familienmitglieder könnten die großen Krisen der Weltpolitik lösen. Schwiegersohn Jared Kushner solle Frieden zwischen Israelis und Arabern stiften, schlug er vor. Sohn Donald Jr. wiederum traf, wie das „Wall Street Journal“ nun berichtete, im Oktober in Paris regimetreue Syrer in einem französischen Thinktank, der vom Kreml gefördert wird.
Die Faktoren, welche Trumps Personalauswahl formen, wirken auch auf seine inhaltlichen Festlegungen. Er mag zum Beispiel Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, gut finden; außenpolitische Falken in der eigenen Partei, allen voran die Senatoren Lindsay Graham und John McCain, bereiten hingegen schon neue Gesetzesvorlagen zur Verschärfung der Russland-Sanktionen und Stärkung der Abwehr von Kremlpropaganda in Europa vor. Der neue Präsident mag die nordamerikanische Freihandelszone Nafta vom Rednerpult aus geißeln; doch die Spitzen der US-Autohersteller werden ihm schonend beibringen, dass nur Nafta jene integrierte Lohnfertigung ermöglicht, die Ford, Chrysler und GM zum Gedeihen benötigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)