Italien geht turbulenten Zeiten entgegen

A man walks next to a poster in support of the ´Yes´ vote in the upcoming constitutional reform referendum in Rome
A man walks next to a poster in support of the ´Yes´ vote in the upcoming constitutional reform referendum in Rome(c) REUTERS (TONY GENTILE)
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Votum am Sonntag. Mögliche Szenarien, wie es nach dem Verfassungsreferendum mit der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft sowie ihrem Premier, Matteo Renzi, weitergeht – und was diese Wahl für die Zukunft Europas bedeuten könnte.

Rom. Am Sonntag sind die Italiener dazu aufgerufen, über eine Änderung ihrer Verfassung abzustimmen. Konkret geht es um eine Entmachtung des Senats, also das Ende des schwerfälligen Zweikammersystems. Dadurch soll das Regieren effizienter werden, so das Argument von Italiens Premier Renzi. In den letzten veröffentlichten Umfragen führt das Nein-Lager. Viele sehen dieses Votum als Schicksalswahl für Europa, denn der europaorientierte Renzi hat das Votum an sein politisches Schicksal geknüpft. Hier die Szenarien für die Zeit nach der Wahl:


Renzi geht. Gewinnt das No, könnte Matteo Renzi seinen Rücktritt vom Amt des Premiers bekannt geben. Er hat immer wieder das Referendum mit seinem eigenen politischen Schicksal verknüpft, ist aber zeitweise von dieser Position abgerückt und hat beteuert, er werde bleiben. Nun scheint Renzi doch wieder einen Rücktritt vorzuziehen: Der 41-Jährige hat durchblicken lassen, dass er für eine Übergangsregierung nach einem Nein nicht zur Verfügung stehen würde. Einige Beobachter gehen aber trotzdem davon aus, dass Renzi im Amt bleiben wird.

• Übergangsregierung bis 2018. Im Fall eines Nein und des Renzi-Rücktritts wird Staatspräsident Sergio Mattarella zum Mann der Stunde. Renzi muss bei ihm um einen Rücktritt bitten – theoretisch kann Mattarella ihm den sogar verweigern. Nimmt er ihn an, setzt der Staatspräsident eine Übergangsregierung ein. Aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Renzis in einem solchen Fall ist der aktuelle Finanzminister, Pier Carlo Padoan.

Diese Übergangsregierung könnte bis zu den turnusmäßigen Wahlen 2018 das Land regieren. Mit dem Reformeifer der Regierung Renzi wäre es damit vorbei.

Neuwahlen. Kommt es zu Neuwahlen, wäre deren Ausgang derzeit ungewiss: In den Umfragen liegt die Fünf-Sterne-Bewegung leicht vor den regierenden Linksdemokraten. Ob sich die rechten Parteien Forza Italia, Lega Nord und Nuovo Centrodestra, von denen keine derzeit über zwölf Prozent kommt, spontan zusammenraufen und auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, ist aktuell eher unwahrscheinlich. Da Neuwahlen nach dem neuen Wahlgesetz erfolgen würden, wonach die Partei, die über 40 Prozent der Wählerstimmen erhält, oder die in einer Stichwahl gewinnt, automatisch die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten würde, kann keine der etablierten Parteien dies im Augenblick wollen.

• Wirtschaftliche Turbulenzen. Investoren blicken bereits jetzt mit Sorgen auf das Referendum am Sonntag: Denn Experten befürchten, dass wegen dieser Unsicherheiten der Spread, also die Zinsen, die Italien für seine Staatsschulden zahlen muss, rasant ansteigen würde. Eine mögliche Übergangsregierung müsste die Steuern erhöhen, um ihre Ausgaben zu decken, was wiederum negative Auswirkungen auf das bereits schleppende Wirtschaftswachstum hätte.

In Europa fürchtet man bereits, bald ein Rettungspaket für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone schnüren zu müssen – mit möglichen Konsequenzen für den Euro. Auch wäre die Rettung der Banken, allen voran der Monte dei Paschi di Siena, in Gefahr. Wenn es der Bank – wegen fehlenden Vertrauens in einen instabilen Staat Italien – nicht gelingt, die Eigenkapitaldecke mit Geld auch aus dem Ausland wie geplant mit fünf Milliarden Euro zu stärken, müsste sie vom Staat gerettet werden. Nach den EU-Regeln würden jedoch auch Kleinsparer dadurch Verluste machen. Was wiederum die Stimmung im Land anheizen und Populisten weiteren Zulauf bringen würde.

Neuwahlen. Politisch besteht das größte Risiko für Europa in Neuwahlen und einem anschließenden Sieg der fundamentaloppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo. Die Bewegung will ein Referendum über einen Euroaustritt.


Renzi ist gestärkt. Gewinnt entgegen allen Erwartungen doch das Si, wäre das ein großer Machtgewinn für Matteo Renzi. Er erhofft sich dadurch eine schnellere Durchsetzung seiner geplanten Reformen, beispielsweise in der Justiz.

Senat bleibt vorerst, wie er ist. Es wäre vor allem ein symbolischer Sieg, denn Reformen im Eiltempo wird es auch bei einem Si nicht geben: Der Senat würde bis zur nächsten Wahl bleiben, wie er ist, mit denselben Rechten in der Gesetzgebung wie die Abgeordnetenkammer und in seiner bisherigen Größe von 315 Senatoren. Der neue Senat, bestehend aus nur noch 100 Senatoren und mit weniger Einfluss, würde erst nach einer Wahl neu gebildet werden. Dass Renzi nach einem Ja direkt Neuwahlen ausruft, gilt wegen der Turbulenzen im aktuellen Wahlkampf und der Stimmung im Volk als unwahrscheinlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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