„Kurz untergräbt die Positionen der EU“

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MACEDONIA - EU(c) EPA (Darko Andonovski)
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Radmila Šekerinska, die Vizechefin der oppositionellen Sozialdemokraten in Mazedonien, über die Wahlkampfhilfe von Sebastian Kurz für die Regierungspartei, die Abgründe des Machtmissbrauchs und den zähen Kampf um faire Wahlen.

Die Presse: Es ist der dritte Versuch in diesem Jahr, Neuwahlen durchzuführen. Zuvor sah die Opposition die Bedingungen für faire Wahlen nicht erfüllt. Sind sie nun gegeben?

Radmila Šekerinska: Einige der Basisbedingungen, für die wir gekämpft haben, wurden erfüllt. Ob die Wahlen frei und fair sein werden, hängt davon ab, inwieweit die Gesetze respektiert werden. Man weiß nie, was am Wahltag passiert. Doch wir haben nun zumindest den Raum für mögliche Manipulationen begrenzen können.

Die Mitschnitte abgehörter Gespräche von Würdenträgern zeigten einen Abgrund des Machtmissbrauchs – und Wahlmanipulationen. Was hat sich verbessert?

Einige Probleme mit den Wählerlisten, die den Manipulationen bei den Wahlen 2011, 2013 und 2014 zugrunde lagen, konnten wir angehen. Die Aufnahmen bestätigten, dass es ein Schema gab, dass Leute durch das Land zogen, um mehrfach ihre Stimmen abzugeben. Manchmal stimmten sie für nicht existierende Phantomwähler, manchmal für im Ausland lebende Mazedonier. Es ist uns nun gelungen, 30.000 Namen aus den Wählerlisten zu streichen, für deren Existenz es keinen Beweis gab. Um zu verhindern, dass andere Personen für ausgewanderte Leute abstimmen, sind die Namen auf den Wahllisten nun mit Fotos versehen. Zudem sind die TV-Stationen nun verpflichtet, auch unsere Wahlspots zu zeigen. Das hatten sie zuvor oft abgelehnt.

Warum stehen noch immer so viele Mazedonier hinter der regierenden VMRO?

Wir deckten auf, dass die Regierung Haushaltsmittel dazu genutzt hat, Medien zu kaufen und zu korrumpieren. Oder die Regierung nutzte ihre Macht, Medien einfach zu schließen. Die TV-Stationen preisen nicht nur die VMRO über den grünen Klee, sondern verunglimpfen jeden Kritiker als Feind des Staats. Erst warfen sie uns vor, den Griechen den Landesnamen verkaufen zu wollen. Nun behaupten sie, dass wir den Albanern den Staat überlassen wollen. Das hören und sehen die Leute 24 Stunden am Tag.

Die abgehörten Gespräche der Amtsträger haben die Missstände aber klar entlarvt. Warum bleiben VMRO-Anhänger ihrer Partei trotzdem treu?

In den vergangenen zehn Jahren hat die VMRO eine Pyramide des Klientelismus und krimineller Mittäterschaft geschaffen. Nikola Gruevski steht an der Spitze. Beteiligt sind nicht nur Minister und Behördenchefs, sondern auch viele in Verwaltung, Justiz und Wirtschaft. Es ist eine Mafiastruktur, in der man die Schuld teilt, sich gegenseitig hilft, sich zu verteidigen. Aber es ist keine Liebe mehr. Früher unterstützten VMRO-Anhänger ihre Partei, weil sie an sie glaubten. Nun ist vielen zwar bewusst, dass das System verrottet ist. Aber sie müssen den Prozess in Gang halten, weil sie Angst haben, von den eigenen Leuten bestraft zu werden.

Das klingt nicht nach Veränderung. Fürchten Sie neue Wahlmanipulationen?

Die Maschinerie der Macht hat sich geändert, weil sie nun der Gefahr ausgesetzt ist, zur Verantwortung gezogen zu werden. Manche Beamte verweigern sich nun, weil sie Angst vor Ermittlungen haben. Immer mehr Leute haben nichts mehr zu verlieren, lassen sich darum auch schwerer unter Druck setzen.

Wie bewerten Sie die Chancen der Opposition bei den Wahlen?

Die VMRO macht es keinem anständigen Konkurrenten leicht. Sie werden weder freiwillig die Macht abtreten noch ins Gefängnis wandern. Aber unsere Hartnäckigkeit trägt Früchte. Als der Präsident im Frühjahr 57 Leute amnestierte, gegen die die Sonderstaatsanwaltschaft ermittelte, war auch die EU sehr skeptisch, dass sich dies rückgängig machen lässt. Doch wir haben bewiesen, dass auch die VMRO Konzessionen machen muss, wenn man den Druck aufrechterhält. Die Amnestie wurde annulliert, die Ermittlungen laufen weiter.

Wie bewerten Sie den Auftritt des österreichischen Außenministers, Sebastian Kurz, auf einer Wahlkundgebung der VMRO?

Der Auftritt von Kurz untergräbt die Positionen der EU – und schadet Mazedoniens Demokratie. Auf der einen Seite gibt es die Erklärungen des EU-Fortschrittsberichts, dass es sich hier um einen Staat handelt, der von einer Partei übernommen worden ist. Auf der anderen Seite feuert ein Amtsträger eines EU-Staats eine Partei an, die seit zwei Jahren zu Recht unter Druck der internationalen Gemeinschaft steht. Solidarität der politischen Familien in Europa ist in Ordnung. Doch wenn man antidemokratisches Verhalten unterstützt, halst man sich nur Ärger auf. Für Mazedonien war dieser Auftritt ein Schlag ins Gesicht.

Was sind Ihre Erwartungen für die Wahl?

Wenn die Basisprinzipien von freien und fairen Wahlen bis zum Ende durchgehalten werden, habe ich keine Zweifel, dass die Opposition gewinnen wird.

Könnte es zum vertrauten Szenario kommen? Dass die VMRO sich zum Sieger erklärt und die Opposition wegen Wahlmanipulationen das Parlament boykottiert?

Es sind viele Szenarien möglich. Die Krise in Mazedonien wird andauern, solange wir nicht deren Wurzeln angehen – die fehlenden Garantien für freie und faire Wahlen, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung.

ZUR PERSON

Radmila Šekerinska ist Vizechefin der Sozialdemokraten Mazedoniens. Sie war von 2006 bis 2008 Vorsitzende, dann kam Zoran Zaev. Am 11. Dezember finden in Mazedonien Parlamentswahlen statt. Der Urnengang soll die tiefe politische Krise im Land beenden. Die sozialdemokratische Opposition betrachtet die Wahl von 2014 als gefälscht und blockiert die Parlamentsarbeit. Im Vorjahr veröffentlichte sie illegal abgehörte Telefonate des damaligen nationalkonservativen Premiers, Nikola Gruevski, und seiner Mitarbeiter. Damit sollten Korruption und Bespitzelung von Bürgern nachgewiesen werden. [ Internet ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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