Die riskante Partie des „Verschrotters“

Matteo Renzi sieht sich am liebsten als Macher.
Matteo Renzi sieht sich am liebsten als Macher.VINCENZO PINTO / AFP / picturedesk.com
  • Drucken

Beim Verfassungsreferendum setzt Italiens Premier Renzi seine eigene politische Zukunft auf das Spiel.

Kopf oder Zahl. So könnte man das Spiel nennen, das der italienische Premierminister Matteo Renzi gerade spielt. Sein aktuelles politisches Manöver, das Referendum über die Verfassungsänderung an diesem Sonntag, gleicht einem Münzwurf – bei Kopf bleibt er, und alles wird gut, bei Zahl haben seine Gegner gesiegt, und das Land versinkt im Chaos. So zumindest seine Sichtweise. Ob er das risikoreiche Spiel gewinnen wird, zeigt sich spätestens Montagfrüh, wenn das Ergebnis vorliegt.

Eine Krawatte trägt der gebürtige Florentiner nicht, die Hemdsärmel hat er hochgekrempelt, das Mikrofon hält er locker in der Hand. So sah man ihn in den vergangenen Wochen, in denen er unermüdlich durch ganz Italien tingelte, von einer Wahlkampfveranstaltung zur anderen, und lautstark für das „si“, das Ja zur Änderung der Verfassung trommelte. „Ich werde wie ein Löwe bis zum Schluss dafür kämpfen.“

So scheint er sich am liebsten zu sehen: als Macher, als einen, der anpackt, als Verschrotter, als „rottamatore“ der alten Strukturen, wie er sich selbst zu Beginn seiner Amtszeit im Februar 2014 als Nachfolger des etwas trägen Enrico Lettas gern nannte. Effizienz sein Ziel, Stillstand sein Albtraum. So hielt er es auch schon während seiner Zeit als Bürgermeister von Florenz. Doch dem von manchem schon als hyperaktiv wahrgenommenen Renzi haftete im Volk von Anfang an ein Makel an: Er wurde nicht gewählt, sondern übernahm die Macht, nachdem er seinen Kontrahenten Letta quasi zum Rücktritt gedrängt hatte. Vielleicht der Grund, warum er sich dazu entschied, die Verfassungsänderung, die bereits vom Parlament beschlossen war, auch dem Volk zur Abstimmung vorzulegen – in einer Zeit, in der die Umfragewerte für ihn sprachen. Heute ist das Referendum eine Partie mit ungewissem Ausgang.

Arrogant nennen ihn viele. „So ein selbstgefälliger Typ aus der Toskana“, ruft ein Mann um die 60 Jahre beim Espresso an der Theke einer Bar, nahe des Sitzes des Premiers in Rom, dem Barista zu. Wo Renzi 2015 noch einen Beliebtheitswert von 50 Prozent aufweisen konnte, hat sich die Stimmung in den vergangenen Monaten immer mehr gegen ihn gewandt – zu Gunsten der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung um Ex-Komiker Beppe Grillo.

„Was interessieren mich Umfragen“, fragte Renzi mit einem süffisanten Lächeln vor wenigen Tagen bei einem seiner Wahlkampfauftritte für das „si“. Man solle doch nur mal nach Großbritannien und in die USA schauen – dann wisse man, was man von Umfragen im Vorfeld von Abstimmungen zu halten hat. Große Töne. Auch die kennt man von ihm: eine Reform pro Monat, so sein ehrgeiziges Versprechen zum Amtsantritt. Ganz so viele sind es nicht geworden. Doch zumindest eine Schulreform, die den Direktoren mehr Eigenständigkeit bei der Wahl der Lehrer und deren Bezahlung verspricht, und die Reform des Arbeitsmarktes, den sogenannten Jobs Act, hat er durchbekommen. Darin enthalten zum Beispiel die Lockerung des Kündigungsschutzes und Steuererleichterung für Unternehmen, wenn sie mehr Festanstellungen schaffen. Doch noch immer krankt das Land an einem Übermaß an Bürokratie und an der fehlenden Effizienz seines Justizapparates.

Gesunkene Arbeitslosenquote

Kritiker sagen, Italien komme auch nach etwas mehr als 1000 Tagen der Regierung Renzis nicht voran. Zwar ist die Arbeitslosenquote in den vergangenen zweieinhalb Jahren von 12,6 Prozent auf 11,7 gesunken, die unter den jungen Erwachsenen von 40 auf 36,4 Prozent. Doch die jährlichen Wachstumsraten liegen bei weniger als einem Prozent und die Staatsverschuldung bei etwa 132 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Im Jahr 2016, in dem das Referendum politisch das beherrschende Thema ist, steht der Reformeifer des „Verschrotters“ in anderen Bereichen hintan. Stattdessen greift Renzi wieder auf Wahlgeschenke zurück – wie so viele seiner Vorgänger, die er so gern und so heftig kritisiert. Der Durchschnittsverdiener wurde mit 80 Euro Steuererleichterung beglückt, jedem 18-Jährigen schenkte er 500 Euro, um an der Kultur des Landes teilzuhaben, im öffentlichen Dienst Beschäftigte erhielten seit mehreren Jahren wieder eine Gehaltserhöhung, und auch ein früherer Eintritt in die Pension wurde mit Hilfe staatlicher Zuschüsse möglich.

Der Optimist

Der 41-Jährige hat viele Facetten. Er kann Staatsmann, wenn er beispielsweise mitten nach der Brexit-Abstimmung Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten François Hollande auf dem Deck eines Kriegsschiffes vor der für Europas Geschichte so wichtigen Insel Ventotene empfängt. Ein Gipfel ohne Inhalt, aber mit vor Symbolik nur so strotzenden Bildern.

Er kann den Landesvater geben, wenn er nach den verheerenden Erdbeben am 24. August in die zerstörten Gebiete nach Amatrice und Accumoli fährt und den Menschen Mut zuspricht. Er kann sich aber auch gefährlich nah am Rande des Populismus bewegen. In den vergangenen Wochen stimmte er immer europakritischere Töne an, um den wahren Populisten damit das Wasser abzugraben. Auch hier spielt Renzi auf Risiko.

Dieses Spiel mit Europa scheinen ihm die Mächtigen der Union noch zu verzeihen – zu gut wissen sie, wie wichtig ein Sieg Renzis im Poker um die Verfassungsreform auch für sie ist. Er gilt als einer der wenigen verlässlichen Partner, nachdem die Briten für den EU-Ausstieg gestimmt haben. Dass der in die Ecke Gedrängte nun den starken Rebellen markiert, der sich in der Union vor allem in Finanzangelegenheiten für sein Land stark macht, nehmen sie relativ gelassen hin. In der Hoffnung, dass nach dem Referendum wieder der Europa-Befürworter in ihm die Oberhand gewinnen wird. Denn im Grunde ist Renzi Europäer durch und durch.

Und Optimist. Man sollte die Welt ein bisschen besser zurücklassen, als man sie vorgefunden hat, so sein Leitsatz seit seiner Zeit bei den Pfadfindern. In seinem wöchentlichen Newsletter, in dem er sich an seine Bürger wendet, zumindest an die, die ihn abonniert haben, verabschiedet sich der Premierminister wahlweise mit „un abbraccio (eine Umarmung)“ oder „un sorriso (ein Lächeln), Matteo“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

File photo of Italian PM Renzi and Italy´s newly elected president Mattarella arrive at the Unknown Soldier´s monument in central Rome
Außenpolitik

Nicht nur Italien muss neu geeint werden

Matteo Renzi muss nach seinem Abgang als Premier seine eigene Partei kitten.
Alessandro Di Battista in einer Journalistentraube.
Österreich

Italiens Fünf-Sterne-Bewegung fordert Referendum über Euro

"Wenn Europa nicht implodieren will, muss es akzeptieren, dass es so nicht weitergeht", fordert Spitzenpolitiker Battista. Italien müsse über den Euro abstimmen.
Sergio Mattarella muss als Präsident für Stabilität in Italien sorgen.
Außenpolitik

Wenn der Präsident zum Krisenmanager wird

Sergio Mattarella gilt als zurückhaltender italienischer Präsident. Nun steht der 75-Jährige vor der ersten großen Herausforderung seit seinem Amtsantritt.
Der italienische Premier Matteo Renzi
Außenpolitik

Italiens Premier Renzi ist zurückgetreten

Der 41-jährige Renzi hatte seinen Rücktritt angekündigt, nachdem eine von ihm auf den Weg gebrachte Verfassungsreform abgelehnt worden war.
Renzi, Mattarella
Außenpolitik

Italien: Renzi liegt wegen Neuwahlen mit Präsidenten im Clinch

Noch-Premier Renzi drängt nach der Referendumspleite auf einen Urnengang in Februar. Staatschef Mattarella winkt ab. Zuvor brauche es ein neues Wahlgesetz.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.