Italien: Präsident könnte Renzis Rücktritt aufschieben

Renzi hat seinen Rücktritt angeboten.
Renzi hat seinen Rücktritt angeboten.APA/AFP/ANDREAS SOLARO
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Nach dem Scheitern der Verfassungsreform des Premiers drängen die Nein-Befürworter auf Neuwahlen. Präsident Mattarella hofft noch auf ein ordentliches Haushaltsgesetz 2017.

Die große Mehrheit der Italiener - 59,1 Prozent - lehnte Renzis Verfassungsreform am Sonntag ab. Der sozialdemokratische Regierungschef zog in der Nacht auf Montag, wie vorher so angekündigt, die Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an. "Ich habe verloren", erklärte Renzi bei einer Pressekonferenz in seinem Amtssitz in Rom. Die Wahlbeteiligung lag bei 68,4 Prozent und war damit höher als erwartet. Nur in der autonomen Region Trentino-Südtirol, in Renzis Heimatregion Toskana, der traditionell linksorientierten Region Emilia Romagna sowie unter den Auslandsitalienern obsiegte das Ja. Versenkt wurde Renzis Mitte-Links-Regierung von einem heterogenen Bündnis aus Populisten, Rechtsparteien und linken Nostalgikern.

Als "Sammelsurium" hatte der Premier im Wahlkampf seine Gegner gebrandmarkt. Diese hätten nichts gemeinsam außer den festen Willen, ihn zu stürzen und Italien zum ewigen Stillstand zu verurteilen. Der bunt gemischten und intern gespaltenen Front der Nein-Befürworter ist es jedoch gelungen, den "Verschrotter" Renzi aus dem Amt zu drängen. Sie spüren jetzt Rückenwind und drängen auf Neuwahlen.

Vor allem die europakritische Protestbewegung Fünf Sterne und die Anti-Euro-Partei Lega Nord wittern eine einmalige Chance, bei Neuwahlen die Führung des Landes zu übernehmen. "Hurra!" war das erste Wort, das der Anführer des "Movimento 5 Stelle" in die Welt schickte, nachdem Renzi seine Niederlage eingestanden hatte.

Nach den Erfolgen bei den Kommunalwahlen in Rom und Turin an die Regierung zu gelangen, davon träumt die Bewegung, die der Starkomiker Beppe Grillo 2009 als reine Protestbewegung gegen eine als morsch betrachtete "politische Kaste" gegründet hatte und die inzwischen stark gewachsen ist. "Die Italiener sollen jetzt so rasch wie möglich wählen", kommentierte Grillo das Ergebnis der Volksabstimmung.

Ausländerfeindliche Lega Nord im Aufwind

Laut Umfragen könnten die "Grillini", die Anhänger Grillos, bei Parlamentswahlen über 30 Prozent der Stimmen erobern, und somit Renzis Demokratische Partei (Partito Democratico/PD) in die Opposition verbannen. Die Aversion gegen den als arrogant und machtversessen gebrandmarkten Renzi ist ein Hauptmerkmal der Fünf-Sterne-Bewegung, die mit äußerst scharfen Tönen die Wahlkampagne gegen die Verfassungsreform führte.

Rückenwind spürt auch die ausländerfeindliche Lega Nord, die zur stärksten Einzelpartei im Mitte-Rechts-Lager aufrücken will. Wir werden keine Übergangsregierung unterstützen", sagte der Chef der Lega Nord, Matteo Salvini, am Montag. Der Lega Nord-Chef drängte darauf, das rechte Lager solle einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs ausstellen und diesen mittels einer Vorwahl bestimmen

"Es fehlt uns weder an Mut noch an Ideen. Ein langer Weg beginnt, um an die Regierung zu gelangen", gab Salvini kürzlich als Losung aus. Der 43-jährige Mailänder lässt sich vom neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump inspirieren. "Die Lehre Trumps und der freien Wahl der Amerikaner ist, dass man auch gegen Bankiers, Lobby-Gruppen, Journalisten und Sänger gewinnen kann", sagte er.

Nicht nur die polarisierte Stimmung vor dem Referendum wusste der 43-Jährige geschickt zu nutzen. Wo er nur konnte - meistens in den Sozialen Netzwerken - positionierte er seine Slogans und wetterte gegen "die Mächtigen" im Politikbetrieb. In der Flüchtlingskrise konnte er der Partei neue Popularität verschaffen, indem er die ausländerfeindliche Ausrichtung weiter vorantrieb. Hatte die Lega Nord bei den Wahlen 2013 gerade so die Vier-Prozent-Hürde geknackt, liegt sie in Umfragen derzeit bei mehr als 12 Prozent. Salvini ist bekennender Euro-Gegner und bezeichnet die Währung immer wieder als "kriminell".

Berlusconi hofft auf ein Comeback

Auch die fast schon totgesagte rechtskonservative Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi hat dank des Referendums-Wahlkampfes für das Nein einen unerwarteten Energieschub erlebt. Nach Jahren der Krise hofft die rechtskonservative Partei auf Neuwahlen, bei denen Berlusconi sogar wieder als Spitzenkandidat antreten könnte.

Der Medienunternehmer wartet auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg über seinen Antrag, mit dem er eine Aufhebung des mit seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs verbundenen Ämterverbots erwirken will. Berlusconi kann wegen dieses Verbots vorerst nicht kandidieren. Der 80-jährige TV-Tycoon rechnet in den nächsten Wochen mit dem Urteil aus Straßburg, womöglich noch rechtzeitig für Neuwahlen im Frühjahr.

Renzis Sturz ist auch ein Sieg des linken PD-Flügels. Die Altherrenriege der italienischen Politik, die Renzi bei Amtsantritt vor bald drei Jahren eigentlich "verschrotten" wollte, sieht jetzt eine Chance, wieder politisch mitreden zu können. Sie wollen Italien nach dem "wilden Liberalismus" Renzis wieder auf einen linkeren Kurs bringen. Angeführt wird der linke PD-Flügel von Ex-Premier Massimo D'Alema, der nie ein Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegenüber Renzi machte.

Präsident hat Fäden in der Hand

Der Ball liegt nun bei Staatspräsident Sergio Mattarella. Dieser könnte den Rücktritt von Premier Matteo Renzi vorerst nicht annehmen, bis das Parlament das Haushaltsgesetz 2017 verabschiedet hat, wie am Montag aus Regierungskreisen in Rom verlautete. Renzi plant demnach am Montag um 18.30 Uhr eine Ministerratsitzung, bei der er ankündigen könnte, dass er trotz seines Rücktritts vorübergehend weiterhin im Amt bleiben wird.

Mattarella hatte bei einem Gespräch mit Renzi am Montag die Parteien zu gegenseitigem Respekt aufgerufen. Zugleich betonte er, dass Italien bestimmte Termine berücksichtigen müsse. Er bezog sich dabei auf die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2017, das bis Jahresende vom Parlament abgesegnet werden muss. Dies bedeutet, dass Mattarella bis dahin das Parlament nicht auflösen will.

Mattarella könnte danach eine Übergangsregierung einsetzen, die bis zu den nächsten Parlamentswahlen halten soll. Diese müssen bis spätestens 2018 stattfinden. Mattarella könnte aber auch das Parlament auflösen und schon für das Frühjahr oder den Sommer 2017 Neuwahlen ansetzen.

Bei Renzi stellt sich die Frage, ob er auch den PD-Vorsitz abgibt oder nicht. Als Nachfolger für Renzi als Übergangspremier liegt Pier Carlo Padoan hoch im Kurs. Der Politiker der alten Schule, der vor allem in Brüssel Anerkennung genießt, ist derzeit Wirtschafts- und Finanzminister. Entscheidet sich Mattarella für den 66-jährigen Ökonom, dürfte das ein beruhigendes Signal an die Märkte senden. Der 66-jährige Ökonom, der keiner Partei angehört, gilt als einer der wichtigsten Männer im Kabinett Renzi, der in der (internationalen) Wirtschaftspolitik viel Erfahrung hat. Er sagte jedenfalls bereits seine für Montag geplante Reise nach Brüssel ab.

(APA/dpa)

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