Italien: Wie es nach dem Referendum weitergeht

Premier Matteo Renzi.
Premier Matteo Renzi.(c) APA/AFP/GABRIEL BOUYS
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Nach der verlorenen Abstimmung über die Verfassungsreform reichte Premier Renzi seinen Rücktritt ein - bleibt aber, bis das Haushaltsgesetz verabschiedet ist. Ein Nachfolger stünde bereit.

Rom. Ein Schleier hängt über Rom. Ein leichter morgendlicher Nebel hüllt die Stadt ein, während an diesem Montag ein neuer Tag, eine neue Woche, eine neue Krise beginnt. In der Nacht von Sonntag auf Montag, um 0.28 Uhr, war Matteo Renzi vom Amt des Ministerpräsidenten zurückgetreten. Das Referendum über die Änderung der Verfassung, das er mit seinem eigenen politischen Schicksal verbunden hatte, hat er haushoch verloren. Rund 60 Prozent der Italiener stimmten gegen ihn und seine Reform. Noch in der Nacht zog eine Handvoll Demonstranten jubelnd vom Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten, zur Piazza del Popolo.

In der Bar um die Ecke ist es an diesem Montagmorgen ungewohnt still. Wo sonst die Nachbarn an der Theke stehen, über ihrem Espresso wild gestikulierend die Tagespolitik durchsprechen, herrscht erschöpfte Ruhe. Über das Referendum möchte hier niemand sprechen. Über Renzi auch nicht. Man zeigt sich stattdessen mal wieder Fotos der Familie auf dem Smartphone. „Wir haben jetzt monatelang nichts anderes zum Thema gehabt. Wir sind müde“, sagt der Barista.

Eine gefährliche Reform?

Als Renzi um die Mittagszeit den Quirinal betritt, um bei Staatspräsident Sergio Mattarella offiziell seinen Rücktritt einzureichen, strahlt die Sonne über Rom. Zur gleichen Zeit findet sich in einem Café in der Via dei Giubbonari – nur einen Steinwurf entfernt von der Parteisektion Roma Centro Storico des Partito Democratico, wo seit 70 Jahren auf Stühlen vor dem heruntergekommenen Haus die Basis über die Politik diskutiert – doch noch jemand, der über die Ereignisse der vergangenen Nacht sprechen möchte.

„Ich bin zufrieden“, sagt Marco Tosatti. Der 69-Jährige hat lange für die Zeitung „La Stampa“ über den Vatikan berichtet. Mit Politik habe er eigentlich nichts am Hut. „Doch diese Verfassungsreform war sehr gefährlich“, sagt Tosatti. Sie hätte dem Volk die Macht genommen, den Senat zu wählen. Das wäre Italien vielleicht nicht sofort zum Verhängnis geworden – „aber in Zukunft, vielleicht sogar schon in ein, zwei Jahren“, sagt er mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg der Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung.

Dass die Verfassung einer Änderung bedarf, bezweifelt Tosatti nicht. „Aber man sollte es machen wie 1947 bei unserer ersten Verfassung.“ Eine gewählte Versammlung aus allen Lagern hätte er sich gewünscht, die einen Konsens aus allen unterschiedlichen Meinungen herausfiltert. „Und nicht von einer Regierung oktroyiert, die noch nicht einmal gewählt ist!“

Dauerhafter Makel

Diesen Makel hat Renzi nie loswerden können. Er wurde nicht vom Volk gewählt, sondern übernahm die Macht im Staat, nachdem er seinen Kontrahenten Letta quasi zum Rücktritt gedrängt hatte. Vielleicht der Grund, warum sich Renzi dazu entschied, die Verfassungsänderung, die bereits vom Parlament beschlossen war, auch dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. In einer Zeit, in der die Umfragewerte noch für ihn sprachen, verkündete er großspurig, vom Ausgang des Referendums auch sein politisches Schicksal abhängig zu machen.

Nach dem offiziellen Rücktritt seiner Regierung liegt die Entscheidung, wie es mit Italien in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, bei Staatspräsident Sergio Mattarella. Mattarella forderte Renzi zur Aufschiebung des Rücktritts bis zur Absegnung des Haushaltsgesetzes auf, hieß es in einer Presseaussendung des Präsidenten. Erwartet wird, dass Renzi erst am Wochenende offiziell zurücktreten wird.

In der Zwischenzeit wird sich Mattarella mit den Parteichefs der im Parlament vertretenen Parteien beraten und höchstwahrscheinlich eine Übergangsregierung vorschlagen.

Forderung nach Neuwahlen

Ob Renzi dann noch Chef des Partito Democratico sein wird und somit daran teilnimmt, soll sich am heutigen Dienstag zeigen. Theoretisch ist es sogar möglich, dass Mattarella Renzi damit beauftragt weiterzuregieren. Der aussichtsreichste Kandidat für Renzis Nachfolge ist der bisherige Finanzminister, Pier Luigi Padoan. Eine neue Regierung könnte bis zu den turnusmäßigen Wahlen 2018 im Amt bleiben.

„Neuwahlen, und zwar sofort“, fordert hingegen Beppe Grillo, der Kopf der Fünf-Sterne-Bewegung und einer der vielen Kämpfer für das Nein am Montag auf seinem Blog. Doch so einfach ist das nicht.

Aufräumarbeiten

Damit es zu Neuwahlen kommen kann, muss eine Übergangsregierung erst einmal aufräumen: Der Haushalt muss in trockene Tücher gebracht und vor allem ein neues Wahlgesetz verabschiedet werden. Seit Mitte dieses Jahres ist das neue Wahlrecht zwar in Kraft. Das Problem: Es regelt aktuell nur die Wahl der Abgeordnetenkammer, nicht aber die des Senats. Den wollte Renzi mit der Verfassungsänderung ja faktisch abschaffen.

„Eine Übergangsregierung wäre die vierte in Folge“, sagt Alessio Marano. Der 47-Jährige ist der Portier eines der römischen Palazzi im Norden der Stadt. Er zählt auf: Nach dem Rücktritt Silvio Berlusconis 2011 übernahm Mario Monti das Amt des Ministerpräsidenten. Auch er trat zurück, und als der eigentliche Sieger der Parlamentswahlen 2013, Pier Luigi Bersani, keine Koalition zustande brachte, ging der Auftrag der Regierungsbildung an Enrico Letta. Nachdem Renzi Letta bei der Wahl zum Parteivorsitzenden des Partito Democratico geschlagen hatte, drängte er ihn zum Rücktritt und übernahm selbst das Amt des Ministerpräsidenten.

Angst vor den Populisten

Käme es zu Neuwahlen, ist sich Marano nicht sicher, ob tatsächlich die Rechten oder die Populisten an die Macht kommen würden, wie vielerorts – vor allem in Brüssel – befürchtet wird. „Immerhin haben doch 40 Prozent für das Ja und damit für Renzi gestimmt“, sagt er. Die 60 Prozent des Nein-Lagers hingegen müssten sich viele Parteien teilen. War es also doch ein Sieg für Renzi? Marano zuckt die Schulter. „Das weiß ich nicht. Ich bin schließlich nur ein Hausmeister.“

Auf einen Blick

Nach dem Referendum über eine Verfassungsreform herrscht in Italien Ungewissheit. Premier Matteo Renzi reichte nach der Niederlage, wie angekündigt, seinen Rücktritt ein. Nun muss Staatspräsident Sergio Mattarella entscheiden, wie es weitergeht. Erwartet wird, dass er eine Übergangsregierung vorschlägt – es wäre die vierte in Folge. Theoretisch könnte Mattarella sogar Renzi damit beauftragen weiterzuregieren. Doch Experten rechnen nicht damit, dass der bisherige Regierungschef einen solchen Regierungsauftrag annehmen würde. Als Favorit für die Renzi-Nachfolge gilt der bisherige Finanzminister, Pier Luigi Padoan. Auch Senatspräsident Pietro Grasso und Infrastrukturminister Graziano Delrio werden als Kandidaten gehandelt. Eine neue Regierung könnte bis zu den Wahlen 2018 im Amt bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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