Brexit: „Bewahrt Ruhe und verhandelt endlich“

EU-Chefverhandler Michel Barnier will einen geordneten Brexit – und das früher, als die britische Premierministerin, Theresa May, vorhat.
EU-Chefverhandler Michel Barnier will einen geordneten Brexit – und das früher, als die britische Premierministerin, Theresa May, vorhat. (c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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EU-Chefunterhändler Michel Barnier will die Austrittsgespräche mit Großbritannien bis Oktober 2018 abschließen – also während des österreichischen Ratsvorsitzes.

Brüssel. Es war der erste öffentliche Auftritt von Michel Barnier seit seiner Ernennung zum Brexit-Chefverhandler der EU-Kommission einen Monat nach dem britischen Austrittsreferendum am 23. Juni. Entsprechend erwartungsvoll waren also die im Pressesaal der Brüsseler Behörde versammelten britischen Journalisten. Würde der ehemalige französische Außenminister und EU-Binnenmarktkommissar mehr über die Natur des bevorstehenden EU-Austritts sagen als die britische Premierministerin, Theresa May, die sich bis dato lediglich zu der Aussage „Brexit bedeutet Brexit“ hinreißen ließ?

Zumindest diese Hoffnung wurde nicht erfüllt. „Das Ziel ist weder ein harter Brexit noch ein weicher Brexit, sondern lediglich ein geordneter Brexit“, sagte Barnier am Dienstag. Im Zusammenhang mit einem anderen Aspekt des britischen Austritts hatte der Chefunterhändler der Union aber sehr wohl eine Neuigkeit für die Briten parat – wenn auch keine gute: Um den Brexit zu verhandeln, haben sie keine 24, sondern maximal 18 Monate Zeit. Sofern London, wie von May angekündigt, das offizielle Austrittsgesuch Ende März 2017 stellt, müssen die Verhandlungen laut Barnier bis spätestens Oktober 2018 abgeschlossen sein. Diese Deadline fällt mitten in den österreichischen EU-Ratsvorsitz, der für die zweite Jahreshälfte 2018 avisiert ist. Somit ist klar, was das wichtigste (und vermutlich einzige) Thema des österreichischen EU-Semesters sein wird: die heiße Phase des Brexit.

Vorlaufzeit und Ratifizierungsfrist

Die Abläufe werden im Artikel 50 des EU-Vertrags geregelt: Sobald der austrittswillige Mitgliedstaat seinen Willen offiziell kundgetan hat, bleiben exakt zwei Jahre Zeit, um die Modalitäten des Austritts zu verhandeln. Im Fall Großbritanniens läuft diese Frist (sofern der Artikel-50-Antrag wie von May angekündigt gestellt wird) Ende März 2019 aus. Dann wird der EU-Austritt vollzogen – sofern diese Frist von den Mitgliedstaaten nicht einstimmig verlängert wird. Für die eigentlichen Verhandlungen steht aber weniger Zeit zur Verfügung, und zwar aus zwei Gründen: Erstens müssen sich die EU-27 nach dem britischen Austrittsgesuch auf ein offizielles Verhandlungsmandat für die Brüsseler Behörde (sie verhandelt im Namen der Mitgliedstaaten mit London) einigen, was laut Barnier einige Wochen in Anspruch nehmen dürfte. Der Chefverhandler der Kommission hat bis dato 18 Hauptstädte besucht, um die Position der EU-27 zu koordinieren, den restlichen neun will er spätestens bis Ende Jänner einen Arbeitsbesuch abgestattet haben. Grund Nummer zwei: Der Brexit-Deal muss anschließend von Rat, Europaparlament und den Briten selbst ratifiziert werden – und für diesen Ratifizierungsprozess wird gemäß Barnier die Zeit zwischen Oktober 2018 und März 2019 benötigt werden.

Und wie geht es nach dem Ablauf der Zweijahresfrist weiter? Nach britischen Vorstellungen soll auf den EU-Austritt eine möglichst üppig ausgestaltete Übergangsperiode folgen, die irgendwann in das neue, britisch-europäische Verhältnis übergeht. Mit besonderer Zuvorkommenheit sollte London nach Auskunft von Barnier allerdings nicht rechnen, denn die Ausgestaltung der Zwischenlösung korreliert mit dem endgültigen Status Großbritanniens. „Die Übergangsperiode ist der Weg zum Ziel, doch zunächst einmal muss das Ziel definiert werden.“ Soll heißen: Großzügige Zwischenlösungen, deren Auslaufen von Großbritannien bis zum Sankt Nimmerleinstag hinausgezögert werden kann, wird es nicht geben – ebenso wenig wie Parallelverhandlungen über den künftigen Status Großbritanniens. London würde am liebsten während der Brexit-Gespräche über das künftige Arrangement mit der EU reden, doch Barnier sind diesbezüglich nach eigener Auskunft die Hände gebunden: „Aus rein rechtlicher Perspektive kann Großbritannien erst dann seine künftige Beziehung zur EU regeln, wenn es ein Drittstaat ist, und nicht als Noch-Unionsmitglied.“

Über den Status Großbritanniens wollte Barnier nicht spekulieren. Nur so viel: „Ein Drittstaat kann niemals dieselben Vorteile genießen wie ein EU-Mitglied.“ Seine Botschaft an London: „Keep calm and negotiate“ – bewahrt Ruhe und verhandelt endlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2016)

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