Rebellen in Aleppo stehen vor Aufgabe

Smoke rises as seen from a government controlled area of Aleppo
Smoke rises as seen from a government controlled area of Aleppo(c) REUTERS (OMAR SANADIKI)
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In der Schlacht um die schon weitgehend zerstörte Metropole stehen die Streitkräfte des Regimes unmittelbar vor dem Sieg. Damit zeichnet sich eine Wende im gesamten Bürgerkrieg ab.

Damaskus/Kairo. Syriens Diktator Bashar al-Assad triumphiert. Die Rückeroberung Aleppos sei ein großer Schritt, um den mehr als fünfjährigen Bürgerkrieg zu beenden, jubelte er in einem Interview mit der Staatszeitung „Al-Watan“. Nach dieser Niederlage hätten die Opposition und ihre Unterstützer „keine Karten mehr in der Hand“.

Bereits 80 Prozent des Rebellengebietes in der alten nordsyrischen Handelsmetropole haben Assads Truppen und deren Verbündete, etwa aus dem Iran, Palästina und Russland, in den vergangenen drei Wochen zurückerobert, zuletzt auch die Altstadt am Fuß der Zitadelle. Die Rebellen kontrollieren dagegen nur noch wenige Enklaven, ihre Einheiten befinden sich in chaotischer Auflösung, sie haben kaum noch Munition und stehen kurz vor der Kapitulation. Nach russischen Angaben hat die syrische Armee die Offensive am Donnerstag unterbrochen. Am Freitag seien die verbleibenden Rebellengebiete im Osten Aleppos mit Artillerie und aus der Luft wieder angegriffen worden, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. 

8500 Menschen sollen russischen Angaben zufolge innerhalb von 24 Stunden die Konfliktzone verlassen haben. Zudem hätten einige Kämpfer die Waffen niedergelegt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Freitag mit. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Der russischen Armee zufolge arbeiten in Ost-Aleppo auch Spezialisten aus Moskau an der Entschärfung von Minen und anderen Sprengsätzen. Russland ist ein Verbündeter der syrischen Führung und unterstützt die Regierungstruppen seit einem Jahr militärisch.

„Die Lage ist apokalyptisch“, erklärte ein Aktivist gegenüber CNN. Nach seinen Angaben drängen sich mittlerweile 200.000 Menschen in den noch verbliebenen Rebellenbezirken, weil sie fürchten, vom Regime festgenommen und gefoltert zu werden. „Ich kenne Leute, die nichts getan haben in den vergangenen vier, fünf Jahren, die nur in ihren Wohnungen bleiben wollten und jetzt verhaftet werden“, sagte ein Lehrer der BBC. Nach Berichten von Zeugen durchkämmen syrische Truppen die eroberten Stadtteile und führen Männer im wehrfähigen Alter ab.

Siegesgewisser Assad härter denn je

Etwa 30.000 Bewohner, die Hälfte von ihnen Kinder, konnten dagegen in den vergangenen beiden Wochen entkommen und sich im Westen Aleppos in Sicherheit bringen, entweder in vom Regime oder von Kurden kontrollierten Teilen. Die Überlebenden berichten von grauenhaften Zuständen. In den Straßenschluchten liegen Leichen ganzer Familien, die mit Koffern in Händen vor Bomben und Granaten fliehen wollten. Komplette Häuserzeilen sind Trümmerwüsten. Keines der Krankenhäuser in dem seit Mitte Juli umzingelten Osten ist noch intakt. Verwundete liegen in den zerstörten Räumen, keiner kümmert sich mehr um sie. Medikamente, Lebensmittel und der Sprit für Krankenwagen sind aufgebraucht.

„Wir sind gelähmt und können niemanden mehr behandeln“, sagt einer der letzten verbliebenen Ärzte. „Die Leute sind verstört und in Panik, jeden Tag müssen Familien von einer Straße in die nächste fliehen.“

Einen Waffenstillstand aber lehnt Assad ab, während am Donnerstag in Hamburg der scheidende US-Außenminister, John Kerry, erneut mit seinem russischen Kollegen, Sergej Lawrow, um eine Feuerpause rang – ohne Erfolg. „Die Terroristen sind überall präsent“, erklärte der Diktator. Selbst wenn man mit Aleppo fertig sei, gehe der Krieg weiter, bis „der Terror eliminiert ist“. Also nehmen das Regime und seine schiitischen Hilfstruppen aus Hisbollah und Iran-gesteuerten Milizen jetzt Idlib ins Visier, die letzte Hochburg der Aufständischen im Norden und zentrale Basis der radikalen al-Nusra-Front. Seit Tagen wird die Stadt, die überfüllt ist mit Flüchtlingen aus anderen Landesteilen, bombardiert.

Keine Chance für Diplomatie

Gleichzeitig liegen sämtliche diplomatisch-politischen Initiativen auf Eis. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die eine einwöchige Feuerpause für Aleppo forderte, wurde Anfang der Woche von Russland und China blockiert – das sechste Syrien-Veto der Pro-Assad-Mächte seit 2011. Im Gegenzug verurteilten die Regierungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Kanadas das syrische Regime und seine russischen Verbündeten für die humanitäre Katastrophe, die „sich vor unseren Augen abspielt“. Damaskus und Moskau würden jede humanitäre Hilfe blockieren und versuchten, mit ihren Angriffen auf Spitäler und Schulen die Bevölkerung zu vernichten, hieß es in der Erklärung. 

LEXIKON

Aleppo (2011 etwa 2,1 Millionen Einwohner) taucht im 19. Jh. vor Christus erstmals als Halab (auf Akkadisch) oder Chalba (auf Ägyptisch) auf, als Hauptstadt des relativ kurzlebigen kleinen Königtums Jamchad. Die spätere arabische Namensform Halab deutet man als Vergangenheitsform von melken, auch weil der Legende nach der biblische Stammvater Abraham an dem Ort seine Kuh gemolken und die Milch an Arme verteilt haben soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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