Italien: Richter beraten über Berlusconis Schicksal

(c) AP (Alberto Pellaschiar)
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Wenn das Immunitätsgesetz gekippt wird, drohen sofort drei Verfahren gegen Berlusconi. Zumindest in einem gilt die Verurteilung als sicher. Eine Entscheidung soll am Mittwoch fallen.

ROM. Es könnte das politische Ende von Silvio Berlusconi sein: Seit Dienstag, verhandelt das italienische Verfassungsgericht über jenes Gesetz, mit dem sich der Ministerpräsident vor einem Jahr alle Strafprozesse vom Hals geschafft hat. Die „vier höchsten Vertreter des Staates“, so besagt der Gesetzestext, könnten während ihrer Amtszeit nicht von der Justiz belangt werden; allfällige Prozesse würden eingefroren.

Klar war von Anfang an, dass das Gesetz eines von jenen siebzehn ist, die Berlusconi seit 1994 für sich hat maßschneidern lassen. Denn weder der Staatspräsident noch die Präsidenten der beiden Parlamentskammern haben Ärger mit der Justiz. Nur eben der Vierthöchste im Staate Italien, der aktuelle Ministerpräsident. Das Gesetz ist nach Justizminister Angelino Alfano benannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber haben es Berlusconis Privatanwälte geschrieben – die auch noch als Abgeordnete für den Medienzaren im Parlament sitzen und die Beratungen steuern können.

Entscheidung am Mittwoch

Das Verfassungsgericht in Rom wird am Mittwoch über die Rechtmäßigkeit des im vergangenen Jahr verabschiedeten Immunitätsgesetzes entscheiden. Die 15 Verfassungsrichter haben am Dienstagvormittag begonnen, den Fall zu überprüfen, wollen sich noch Zeit nehmen, um ihren Beschluss zu fassen, verlautete aus Kreisen um das Verfassungsgericht in Rom. ag

Geld für eine Zeugenaussage

Aber lässt sich die „Lex Alfano“ mit der Verfassung vereinbaren? Vor vier Jahren ist Berlusconi bei den 15 Höchstrichtern mit einem ähnlichen Vorstoß abgeblitzt. Dementsprechend geht er den zweiten Anlauf mit spürbarer, wachsender Nervosität an.

Der Preis ist nämlich hoch. Scheitert Berlusconi, leben sofort drei Verfahren gegen ihn wieder auf. Zumindest in einem gilt die Verurteilung als sicher: Er hat vor Jahren einen britischen Anwalt für eine falsche Zeugenaussage bezahlt. Der Anwalt ist bereits zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden; der Auftraggeber selbst konnte nach der „Lex Alfano“ bisher nicht verfolgt werden.

Abendessen mit Richtern

Wie die Stimmung im Amt des Regierungschefs ist, zeigt der geradezu schmachtende, in keiner Weise juristisch argumentierende Brief, mit dem ein offizieller Anwalt des Staates die Verfassungsrichter vor der Aufhebung der „Lex Alfano“ warnt: Würden die Prozesse gegen Berlusconi neu beginnen, wäre der Ministerpräsident „in exzessiver Weise den Medien ausgesetzt“; das Bild des Premierministers in der Öffentlichkeit würde „irreparable Schäden erleiden“; es bestehe sogar die „extreme Gefahr“, dass der Regierungschef zurücktrete, argumentiert der Anwalt. Schon im Mai hat sich der juristische Stab Berlusconis mit zwei gewogenen Verfassungsrichtern zu einem vertraulichen Abendessen getroffen, und als die Medien das als unzulässige Absprache kritisiert haben, hat einer der Richter mit einem offenen Brief reagiert: „Lieber Silvio, wir beide sind Opfer einer Barbarei geworden. Es war nicht das erste, und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dich zu mir nach Hause eingeladen habe.“

Die beiden Richter, die mit Berlusconi gespeist haben, kündigen an, dass sie sich trotz aller Befangenheitsvorwürfe beim Votum über die „Lex Alfano“ der Stimme keineswegs enthalten werden.

Gekauftes Urteil

Berlusconis Nervosität wurde am Wochenende noch dadurch gesteigert, dass ein Mailänder Zivilgericht – in absichtlicher oder in zufälliger Terminnähe – die Summe aus einem alten Strafprozess zog und Berlusconis Medienkonzern Fininvest zu 750 Millionen Euro Schadenersatz an den Konkurrenten Cir verurteilte.

Fininvest hatte sich 1991, im Kampf gegen Cir, das Verlagshaus Mondadori einverleibt, das größte in Italien. Aber der Richterspruch, auf den sich Fininvest damals stützte, war gekauft. Berlusconis Anwalt Cesare Previti (später Abgeordneter und Minister) ist 2007 dafür wegen Richterbestechung in letzter Instanz zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Auftraggeber blieb ungeschoren – bisher jedenfalls, aber Berlusconi fühlt sich in diesen Tagen regelrecht „eingekreist“ und befürchtet das Schlimmste. In dieser bedrohlichen Situation reagieren Berlusconis Parteifunktionäre mit einem Rückgriff aufs Volk. Sie planen eine gigantische Demonstration zugunsten des Regierungschefs. Sie sagen, keinem Richter dürfe es erlaubt sein, das Wahlergebnis mit einem Urteilsspruch ins Gegenteil zu verkehren und den glorreichen, vom Volk so gefeierten Sieger in die Wüste zu schicken.

Zerstrittene Opposition

Trotz all seiner Probleme hat Berlusconi nach wie vor viele Anhänger. Eine parlamentarische Opposition gibt es nicht mehr. Ihre größte, die sogenannte Demokratische Partei, verzehrt sich in internen Führungs- und Richtungskämpfen. Selbst wenn die Italiener eine Alternative zu Berlusconi wählen wollten, sie wüssten nicht, was sie bekämen. Dass sie gerade in der Krise dann lieber bei dem bleiben, den sie kennen, verwundert nicht.

Wann die Verfassungsrichter ihr Urteil fällen, ist offen. Es kann sich um Tage oder Wochen handeln.

AUF EINEN BLICK

Die „Lex Alfano“, benannt nach Justizminister Angelino Alfano, sichert den vier höchsten Vertretern des italienischen Staates zu, dass sie während ihrer Amtszeit nicht von der Justiz belangt werden können. Premier Silvio Berlusconi hat die Regelung vom Juli 2008 für sich maßschneidern lassen, um einer Reihe von Strafverfahren zu entgehen.

Italiens Verfassungsgericht berät seit Dienstag darüber, ob dieses Gesetz verfassungskonform ist. Sollte die „Lex Alfano“ gekippt werden, würden drei Verfahren gegen Berlusconi wieder aufleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2009)

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