Assad und der Iran ziehen den Kampf um Aleppo in die Länge

(c) APA/AFP/GEORGE OURFALIAN
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Nach dem Einrücken in den Ostteil der Stadt will das Regime die Rebellen registrieren. Viele sollen spurlos verschwunden sein.

Kairo/Aleppo. Für die Bewohner Aleppos nimmt der schreckliche Albtraum kein Ende. Ein Evakuierungsplan für Zivilisten und Rebellen, den Russland am Dienstagabend auf der UN-Sicherheitsratssitzung in New York angekündigt hatte, scheiterte bereits nach wenigen Stunden. Stattdessen nahm die syrische Armee am frühen Mittwochmorgen die heftige Bombardierung der umzingelten Enklave durch Panzer, Artillerie und Kampfjets wieder auf. An allen Frontlinien kam es nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zu erbitterten Gefechten.

Augenzeugenberichten zufolge irrten Hunderte Menschen in panischer Angst durch die Ruinen auf der verzweifelten Suche nach Deckung. Die Opposition kontrolliert nur noch ein winziges Territorium von gut zwei Quadratkilometern, in das sich offenbar 80.000 Menschen geflüchtet haben, die unter keinen Umständen in Regimegebiete gebracht werden wollen.

Denn die Assad-Getreuen zwingen alle Leute, die vom Osten in den von Damaskus kontrollierten Westen Aleppos kommen, sich registrieren zu lassen. Hunderte Männer sollen verhört, verhaftet und seitdem spurlos verschwunden sein. Andere wurden auf der Stelle für die syrische Armee zwangsrekrutiert. In der komplett umzingelten Enklave dagegen haben die Menschen nichts mehr zu essen und zu trinken. Das Wetter ist nass, eiskalt und windig. Viele übernachten auf der Straße unter freiem Himmel und haben eigentlich gehofft, am Mittwoch aus der unbewohnbaren Ruinenstadt herauszukommen und in die von Assad-Gegnern beherrschte Provinz Idlib gefahren zu werden.

Doch das syrische Regime und sein Verbündeter Iran blockieren die von Russland und der Türkei ausgehandelte Vereinbarung. Diese sah vor, zunächst alle Zivilisten aus Aleppo herauszubringen, anschließend die Kämpfer mit ihren leichten Waffen. Dagegen hieß es am Mittwoch in Damaskus, man habe lediglich einem Abtransport von 2000 Bewaffneten zugestimmt, nicht jedoch von 10.000 Menschen. Obendrein forderte das Regime eine genaue Namensliste der Personen sowie ein Ende der Belagerung zweier Schiitendörfer durch Rebellen im Nordwesten des Landes. Die Aufständischen warfen den Machthabern in Damaskus daraufhin vor, die Einigung durch neue Bedingungen zu torpedieren.

Chemische Waffen in Hama?

Der Iran feierte den Erfolg über die Rebellen als Beweis dafür, dass die Islamische Republik zur führenden Regionalmacht im Nahen Osten geworden sei. Verteidigungsminister Hossein Dehghan rief seinen syrischen Amtskollegen Fahd Jassem al-Freij an und gratulierte ihm „zu dem Sieg der syrischen Armee und der Kräfte des Widerstands bei der Befreiung Aleppos aus der Hand falschgläubiger Terroristen“. In Teheran wurden Propagandaplakate aufgehängt mit der Aufschrift „Der Kampf gegen die USA hat sich erneut ausgezahlt – Aleppo ist befreit“.

Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, dagegen erklärte, das syrische Regime und „gewisse andere Gruppen“ versuchten, das Abkommen zu sabotieren. Zuvor hatte Vizepremier Mehmet Şimsek angekündigt, die Türkei bereite ein Aufnahmelager für 80.000 Flüchtlinge aus Aleppo vor. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wollte am Abend mit Russlands Staatschef ,Wladimir Putin, telefonieren. Auch der syrische Oppositionelle Hadi al-Bahra machte Syriens Regierung für die Verzögerung verantwortlich: Das Regime mache einen Rückzieher, erklärte der ehemalige Vorsitzende der Syrischen Nationalkoalition, einem Oppositionsbündnis, das in Istanbul seinen Hauptsitz hat.

Unterdessen geht die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die im Jahr 2013 die Vernichtung der syrischen Kampfstoffarsenale überwacht hat, Meldungen nach, das Regime habe am Montag in der Region um die Stadt Hama Giftgas eingesetzt. Bei Angriffen von Kampfflugzeugen auf mehrere vom sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Dörfer starben Dutzende Zivilisten, darunter Kinder, nachdem sie den Rauch der Geschosse eingeatmet hatten. Die Getöteten zeigten Symptome von schweren Vergiftungen und erstickten. Man werde die Vorfälle untersuchen, teile die OPCW mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2016)

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