Die letzte Schlacht der Angela Merkel

 Angela Merkel im stillen Andenken an die Opfer des jüngsten Attentats auf dem Weihnachtsmarkt vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Angela Merkel im stillen Andenken an die Opfer des jüngsten Attentats auf dem Weihnachtsmarkt vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.(c) AFP
  • Drucken

Die deutsche Kanzlerin hält ihr Credo „Wir schaffen das“ nur noch rhetorisch aufrecht. Unter dem Druck von CSU – und AfD – vollzieht sie vor der Wahl in neun Monaten eine schleichende Kurskorrektur.

Pünktlich zur Schweigeminute am Dienstagnachmittag war die Kanzlerin gemeinsam mit ihrem Innen- und Außenminister sowie dem Berliner Bürgermeister am Tatort im Herzen Westberlins erschienen, um Trauer und Betroffenheit zu bekunden. Zugleich war dies indes auch der Versuch, einer verunsicherten Nation die Stärke und Entschlossenheit des Staates zu signalisieren. Am Abend wollte Angela Merkel an den Ort des Schreckens zurückkehren, zum Gedenkgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Ku'damm, der die Bedrohung durch den Terror wachrief – fünf Monate nach einer Anschlagsserie in Bayern.

„Merkel schweigt“: Diese Parole ging damals in den sozialen Medien um, nachdem die Regierungschefin sich nicht noch in der Nacht des Amoklaufs in München aus ihrem Urlaubsort an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Gestern berief sie, nach dem ersten Attentat in der deutschen Hauptstadt in der jüngeren Geschichte, umgehend das Sicherheitskabinett ein. Sie telefonierte mit Barack Obama, der sie zuletzt bei seinem Besuch in Berlin unumwunden gepriesen hatte. Zuvor hatte sie im schwarzen Hosenanzug im Bundeskanzleramt eine knapp fünfminütige Erklärung abgegeben, in der sie all die richtigen Worte vom Zusammenhalt in schwierigen Stunden, vom Klima der Angst und vom Preis der Freiheit mit trotzigem Tenor vom Blatt las – freilich in typisch Merkel'scher Manier, nüchtern, im monotonen Tonfall und ohne die rhetorische Verve des Noch-US-Präsidenten.

Eine Nuance ließ dann doch aufhorchen. Dass ein Flüchtling den Terrorakt begangen haben könnte, wäre besonders widerwärtig angesichts des Engagements vieler Deutscher in der Flüchtlingshilfe, sagte sie – und es klang so, als hätte der mutmaßliche Umstand auch sie persönlich ins Mark getroffen. Ihr viel kritisiertes Credo „Wir schaffen das“ hält Merkel ohnedies nur noch rhetorisch aufrecht. Realpolitisch hat ihre Regierung in der Flüchtlingspolitik – angespornt von der CSU und aufgestachelt von der rechtspopulistischen AfD – längst das Ruder herumgerissen. „Deutschland ist nicht mehr sicher“, wetterte denn nun auch AfD-Chefin Frauke Petry, und ihr Lebensgefährte, der EU-Abgeordnete Markus Pretzell, verstieg sich gar zur Anklage: „Es sind Merkels Tote.“ Dies trug ihm den Vorwurf der Verhetzung ein.

In der Koalition dominieren Horst Seehofer und seine CSU die Debatte. Der CSU-Chef forciert eine Neujustierung der Zuwanderungspolitik inklusive einer Obergrenze für Flüchtlinge. Die Kontrollen an Österreichs Grenzen hat Bayern bereits ausgeweitet. Schon in der Vorwoche hatte CSU-Scharfmacher Markus Söder, Seehofers ungeliebter Kronprinz, angesichts mehrerer spektakulärer Morde gedröhnt: „Es geht jetzt um Heimatschutz. Wir beginnen, die Kontrolle über Straßen und Plätze zu verlieren.“

Doch auch Teile der CDU sind umgeschwenkt, und in den Wahlkampf für die Bundestagswahl in neun Monaten werden die Schwesterparteien trotz mancher Turbulenzen und Drohungen wohl wie gewohnt Seite an Seite ziehen. Nach längerer Abwägung hatte Merkel vor einem Monat ihr abermaliges Antreten als Spitzenkandidatin angekündigt. Beim Parteitag kurz darauf in Essen schwor sie die Christdemokraten auf eine harte – ihre letzte – Schlacht ein: Die Wahl werde kein „Zuckerschlecken“ werden.

Im Wissen um ihren polarisierenden Kurs gestand sie ein: „Ich habe euch einiges zugemutet.“ Sie versprach, eine Situation wie im Spätsommer 2015, als die Flüchtlingswelle über das Land hereinbrach, werde sich nicht wiederholen. Schließlich appellierte sie eindringlich an die Parteifreunde: „Ihr müsst mir helfen.“ Bei der Wiederwahl zur CDU-Chefin erreichte sie nach 16 Jahren immer noch eine Zustimmung von fast 90 Prozent, dennoch ihr schlechtestes Ergebnis.

Die einzige Konstante

Nach der Wahl Donald Trumps ernannte die „New York Times“ die Kanzlerin taxfrei zur „Führerin der westlichen Welt“. Es herrsche das Gefühl vor, dass die Welt aus den Fugen geraten sei, begründete Merkel ihre neuerliche Kandidatur. Auf der internationalen Bühne wird es zunehmend einsam um sie: Nach dem Rücktritt David Camerons und Matteo Renzis, vor dem Abgang Barack Obamas und François Hollandes ist sie die letzte Konstante im Konzert der Großen. Obwohl die SPD sie bei der Bundespräsidentenwahl überrumpelt hat, geht Angela Merkel als Favoritin ins Wahljahr 2017. Sie hofft auf eine schwache SPD – und auf eine schleichende Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik, um den Trend zum Rechtspopulismus in Grenzen zu halten.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Hass, Hetze, einseitiges Pauschalisieren gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, Religionen oder Rassismus haben hier keinen Platz. Gleiches gilt für unangebrachten Sarkasmus oder Themenverfehlungen.

Wir gedenken der Opfer und Menschen in Berlin.

„DiePresse“-Community (mkf)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.