Merkel fordert nach Berlin-Attentat "starken Staat"

Merkel zeigt sich entschlossen.
Merkel zeigt sich entschlossen.APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Die deutsche Kanzlerin drängt nach dem Tod Anis Amris darauf, Abschiebungen nach Tunesien "deutlich" zu beschleunigen. Der IS veröffentlicht ein Video, in dem der mögliche Berlin-Attentäter der Terrormiliz die Treue schwört.

Der mutmaßliche Attentäter von Berlin ist tot. Anis Amri wurde Freitagnacht bei einer Straßenkontrolle im Mailänder Vorort Sesto San Giovanni von der Polizei erschossen. Dies bestätigte der italienische Innenminister Marco Minniti am Freitag in Rom. Nach "allen Untersuchungen, die man in so einem Fall unternimmt", bestehe kein Zweifel daran, dass der in Mailand erschossene Mann der gesuchte Tunesier ist.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel dankte den italienischen Behörden und kündigte rasche Konsequenzen an, um die Sicherheit der Bürger zu erhöhen. Es werde alles Menschenmögliche getan, damit "unser Staat ein starker Staat ist", sagte die CDU-Vorsitzende am Freitag in Berlin. "Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Werte, unsere Mitmenschlichkeit: sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus", sagte die Kanzlerin mit Blick auf den sogenannten Islamischen Staat, der die Urheberschaft des Anschlags mit zwölf Toten beansprucht. Der Fall des von der italienischen Polizei getöteten Tatverdächtigen Tunesiers Anis Amri werfe "eine Reihe von Fragen auf", sagte Merkel am Freitag in Berlin. Sie drängte darauf, Abschiebungen nach Tunesien "deutlich" zu beschleunigen und deren Zahl zu erhöhen.

Sie habe Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) gebeten, in Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, den Sicherheitsbehörden und den Bundesländern "jeden Aspekt" des Falls zu analysieren, sagte Merkel. "Wir werden jetzt mit Nachdruck prüfen, inwieweit staatliche Maßnahmen verändert werden müssen." Dort, wo Bedarf für politische und gesetzliche Veränderungen gesehen werde, "werden wir notwendige Maßnahmen in der Bundesregierung zügig verabreden und umsetzen", kündigte die Kanzlerin an.

Auch de Maiziere sagte, nach dem Tod des mutmaßlichen Attentäters sei "jetzt auch die Zeit gekommen, um über Konsequenzen zu reden". Dazu werde er sich "sehr bald" mit Maas treffen. Der Innenminister wies darauf hin, dass er bereits vor einiger Zeit Gesetzesvorschläge zur leichteren Abschiebung sogenannter Gefährder sowie für strengere Regeln im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern vorgelegt habe. Zudem könne es um das Durchsetzen von Wohnsitzauflagen gehen.

Wurde Amris Handy gefunden?

Unterdessen gehen die Ermittlungen in Berlin weiter. Nach der Geldbörse hat die Polizei nach Informationen des Magazins "Der Spiegel" offensichtlich auch das Handy des getöteten Terrorverdächtigen Anis Amri gefunden.

Das Mobiltelefon der Marke HTC sei beim Lastwagen sichergestellt worden, mit dem der 24-jährige Tunesier am Montagabend mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Weihnachtsmarkt im Berliner Zentrum gerast ist, berichtetet das Magazin am Freitag.

Bei Straßenkontrolle getötet

Amri ging der Polizei vor dem Bahnhof des Ortes um vier Uhr Früh bei einer normalen Straßenkontrolle ins Netz. Der 24-Jährige war über Chambery, einer Stadt in den französischen Alpen, und später über Turin mit dem Zug nach Mailand gereist. Es wird vermutet, dass der junge Salafist nach Süditalien weiterreisen wollte, berichtet die Zeitung "Corriere della Serra".

Amri sei in der Nacht zu Fuß unterwegs gewesen, berichteten italienische Medien. Als ihn die Beamten nach seinen Dokumenten fragten, habe er plötzlich eine Pistole gezogen und auf die Polizisten geschossen. Er verletzte einen der Beamten an der Schulter. Amri hatte weder Handy noch Dokumente bei sich und konnte erst aufgrund seiner Fingerabdrücke identifiziert werden. In seinem Rucksack fanden die Ermittler ein Messer und mehrere Hundert Euro, berichten italienische Medien.

Der verletzte Polizist wurde ins Spital in Monza eingeliefert, er schwebt nicht in Lebensgefahr. Sein Kollege, der Amri tödlich getroffen hatte, ist ein 29-Jähriger aus dem sizilianischen Catania, der nur seit wenigen Monaten bei der Polizei ist und auf Probezeit im Einsatz war. Minniti bedankte sich am Freitag herzlich bei den Beamten. Dank ihm könnten die Italiener jetzt "in größerer Ruhe Weihnachten feiern". Italien könne "sehr stolz" auf seine Sicherheitskräfte sein.

Berlin ermittelt gegen mögliche Helfer

Nach dem Tunesier war seit Donnerstag mit Haftbefehl gefahndet worden. Es bestanden zuletzt kaum noch Zweifel, dass Amri für den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in der deutschen Hauptstadt mit mindestens zwölf Toten verantwortlich sein dürfte. Seine Fingerabdrücke wurden mehrfach an dem Lkw sichergestellt, der am Montagabend in die Stände nahe der Gedächtniskirche gerast war.

Auch die deutsche Generalbundesanwaltschaft bestätigte den Tod des Terrorverdächtigen. Nunmehr würden sich die Ermittlungen der deutschen Sicherheitsbehörden auf ein mögliches Helfernetzwerk des Tunesiers konzentrieren. Allerdings liefen die Ermittlungen "derzeit nur gegen Unbekannt weiter", sagte Frank. Unter anderem gelte es herauszufinden, ob Amri von Unterstützern Geldmittel oder Fluchthilfe erhielt.

Möglicherweise hatte Amri Verbindungen zum sogenannten Islamischen Staat: Der IS hatte den Anschlag diese Woche nicht nur für sich reklamiert. Am Freitag bestätigte das Sprachrohr des IS nun die Tötung Amris. Auf der Webseite wurde ein Video gezeigt, das Amri angeblich vor dem Anschlag in Berlin aufgenommen hatte, berichteten italienische Medien. Darin schwört der 24-jährige Tunesier dem IS die Treue. IS-Gefolgsleute sollten Rache in Europa an den "Kreuzfahrern" üben, die Mulsime bombardierten.

"In fließendem Italienisch beschimpft"

Die italienische Polizei ermittelt nun auch wegen möglicher Verbindung Amris in Italien. Die Ermittler wollen prüfen, ob er Kontakte zur islamischen Gemeinschaft in Sesto San Giovanni hatte. Noch unklar sei, warum Amri von Mailand nach Sesto San Giovanni gereist sei, wo er von einem Polizisten erschossen wurde. Bevor er auf einen Polizist feuerte, der ihn kontrollieren wollte, habe Amri "in gutem Italienisch" als "Bastarde" beschimpft, berichtete der Mailänder Polizeichef Antonio De Iesu.

"Amri hatte nur wenige Dinge bei sich. Er war wie ein Gespenst. Es ist absurd, dass ein Terrorist dieser Art zufällig bei einer normalen Kontrolle entdeckt worden ist, doch das ist die Realität", sagte De Iesu. Der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala ordnete nachtsüber stärkere Polizeikontrollen in der Stadt an.

Angriffslustiger Häftling

Amri war 2011 nach dem Sturz des tunesischen Machthabers Ben Ali von Tunesien auf die italienische Insel Lampedusa geflohen. Hier soll er ein Flüchtlingslager in Brand gesetzt haben. Auf Sizilien wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt, die er in Catania und Palermo abgesessen hatte. Im Mai 2015 wurde er freigelassen. Danach sei er nach Deutschland gereist.

Die Leiterin der Strafanstalt "Pagliarelli" in Palermo, in dem Amri vier Monate lang verbracht hatte, bezeichnete den Tunesier als "problematischen Sträfling". "Er war aggressiv und verursachte immer wieder extreme Situationen. Er war angriffslustig. Damit war das Zusammenleben mit anderen Häftlingen unmöglich", sagte die Leiterin, Francesca Vazzana im Interview mit der römischen Tageszeitung "Il Messaggero" am Freitag.

Unter anderem soll er einem anderen christlichen Häftling gedroht haben, seinen Kopf abzuhacken, berichtete "Corriere della Sierra". Amri, der auch Gefängnisaufseher geschlagen habe, hatte ihrer Ansicht nach ein "psychologisches Problem, das darauf zurückzuführen ist, dass er unser Kultursystem nicht akzeptierte", sagte Vazzana. Signale einer Radikalisierung habe er jedoch nicht gegeben.

Warnungen aus Marokko

Offenbar hatten die marokkanischen Sicherheitsbehörden bereits im September und Oktober vor Anschlagsplänen des Toten gewarnt. Nach einem Bericht der Zeitung "Die Welt" soll der marokkanische Geheimdienst die Warnungen am 19. September und am 11. Oktober weitergeleitet haben. Die Zeitung beruft sich auf Informationen aus der marokkanischen Regierung. Konkret sei es um die Gesinnung Amris gegangen und seine Bereitschaft, einen Terroranschlag durchzuführen. De Maiziere wollte sich zu den Meldungen nicht äußern.

(APA/dpa/AFP/Reuters/red.)

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