Anis Amris Fluchtroute durch Europa

Ein Selfie des mutmaßlichen Attentäters von Berlin.
Ein Selfie des mutmaßlichen Attentäters von Berlin.REUTERS/Social Media
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Wie konnte der mutmaßliche Attentäter von Berlin drei Tage lang unbemerkt durch Europa touren? Eine Rekonstruktion seiner Reise vom Anschlag bis zu seinem Tod.

Knapp drei Tage dauerte die Flucht des 24-jährigen Tunesiers Anis Amri. Am Freitag um rund vier Uhr in der Früh endete sie: Zwei italienische Polizeibeamte erschossen den Salafisten nahe dem Mailänder Bahnhof Sesto San Giovanni. Wie schon Jahre zuvor auf seiner Flucht von seinem Heimatland über Italien nach Deutschland, gelang es dem vorbestraften Ex-Häftling nach dem Attentat auf einen Christkindlmarkt am Berliner Breitscheidplatz, den Behörden zu entwischen.

Die erste Chance dazu bot sich wohl kurz nach dem Attentat als die Polizei zunächst einer falschen Fährte folgte: Kurz nach dem Anschlag wurde ein 23-jähriger Pakistani festgenommen. Der Mann hatte in seiner Vernehmung umfangreiche Angaben gemacht, eine Tatbeteiligung jedoch bestritten. Aus Mangel an Beweisen war er am Dienstagabend wieder freigelassen worden.

Erst am Mittwoch nahmen die Behörden die Jagd nach Amri auf. So blieb für den jungen Mann anfangs genug Zeit unterzutauchen. Doch er machte auch Fehler: Ein Zeuge soll ihn nach dem Anschlag mit Verletzungen im Gesicht fliehen gesehen haben, berichtete der Sender rbb.

Unterschlupf in Moschee-Verein

Zudem soll Amri auf der Flucht nicht nur seine Geldbörse mit diversen Dokumenten im Lkw-Führerhaus liegen gelassen, sondern auch sein Handy verloren haben.
Erste Anhaltspunkte für die Fluchtroute bieten Bilder einer Überwachungskamera, die rbb veröffentlichte: Nachdem Amri am Montagabend mit einem Sattelschlepper in die Menschenmenge am Adventmarkt vor der Berliner Gedächtniskirche gerast war, dürfte er Zuflucht in einem polizeibekannten Salafisten-Treffpunkt gesucht haben. Der Terrorverdächtige war dort knapp acht Stunden nach dem Anschlag gefilmt worden. Der Sender veröffentlichte Observationsbilder der Polizei, die den Tunesier am frühen Dienstagmorgen vor dem Moschee-Verein "Fussilet 33" zeigen sollen.

Ein Spezialeinsatzkommando stürmte den Islamistentreffpunkt Donnerstag früh auf der Suche nach Amri. Die Moschee soll einer der Anlaufpunkte des Tunesiers in der Hauptstadt gewesen sein. Im jüngsten Bericht des Berliner Verfassungsschutzes wird der Moschee-Verein "Fussilet 33" als Treffpunkt von Islamisten geführt. Beim Islamunterricht sollen dort Muslime - meist Türken und Kaukasier - für den bewaffneten Kampf der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien radikalisiert worden sein. Auch sei Geld für Terroranschläge in Syrien gesammelt worden. Dem rbb zufolge befürworten Berliner Ermittler seit geraumer Zeit eine Schließung der Moschee in Moabit und ein Verbot des Vereins.

Nur etwa 500 Meter Luftlinie liegen zwischen der Moschee an der viel befahrenen Perleberger Straße und dem Industriegebiet am Friedrich-Krause-Ufer, wo der polnische Lkw vor dem Anschlag parkte. Zu Fuß braucht man vielleicht eine Viertelstunde für die Strecke, mit dem Rad dürften es keine fünf Minuten sein.

Wie gelangte Amri nach Frankreich?

Amri hatten das Fahrzeug offenbar mitsamt dem Fahrer gekapert: Ein polnischer Spediteur hatte nach dem Anschlag berichtet, sein Fahrer habe den Lkw am Montagnachmittag in dem Moabiter Industriegebiet geparkt, um aus Italien importierte Stahlkonstruktionen am Dienstag auszuladen. Seit 16 Uhr, also rund vier Stunden vor dem Anschlag, sei der Fahrer nicht mehr erreichbar gewesen.

GPS-Daten zeigten, dass der Laster danach mehrmals gestartet worden sei, berichtete der Sender N24 unter Berufung auf die Spedition. Gegen 19.45 Uhr habe der Lastwagen dann seinen Standort in Moabit verlassen, etwa eine Viertelstunde später raste er in den Weihnachtsmarkts und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Zwölf Menschen starben, darunter der Speditionsfahrer. Er soll mit einem Griff auf das Lenkrad versucht haben, Schlimmeres zu verhindern.

Wie Amri genau von Berlin nach Mailand gelangte, ist bisher unklar. Fest steht, dass er mit dem Zug von Frankreich nach Italien reiste. Er sei aus Frankreich, aus Chambery in Savoien, nach Turin gekommen, wo er sich mehrere Stunden aufgefhalten habe, berichtete der Mailänder Antiterrorchef Alberto Nobili am Freitag. Von Turin in der italienischen Region Piemont sei er wiederum mit dem Zug nach Mailand gefahren, wo er gegen 1 Uhr in der Nacht zum Freitag angekommen sei.

Gegen 4 Uhr in der Früh war er gerade zu Fuß mit dem Rucksack vor dem Bahnhof in dem Mailänder Vorort Sesto San Giovanni unterwegs, als er zwei Polizisten begegnete, die ihn bei einem Schusswechsel töteten. Er hatte weder Dokumente noch Handy bei sich, sagte der Mailänder Polizeichef. Stattdessen fanden die Beamten eine entsicherte Pistole und mehrere hundert Euro. Offenbar wollte er sich in Mailand mit einem Bekannten treffen.

(APA/dpa/red.)

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