Bundesbank-Vorstand: "Allah gebe ihm mehr Verstand"

Thilo Sarrazin
Thilo Sarrazin(c) AP (Miguel Villagran)
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Undiplomatisch, intellektuell hochmütig, polarisierend. Der langjährige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin steht wegen "rassistischer" Aussagen in der Kritik.

Ich werde in Zukunft bei öffentlichen Äußerungen mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen.“ Thilo Sarrazin (64), seit Mai im Vorstand der Bundesbank und zuvor sieben Jahre lang Finanzsenator von Berlin, hat schon in der Vergangenheit kein Talent zur Zurückhaltung gezeigt. Undiplomatisch, scharf im Umgang mit seinen Beamten, intellektuell hochmütig, polarisierend. So kennt man ihn in Berlin seit Langem.

Noch nie aber hat Sarrazin mit seinen Aussagen derartige Empörung ausgelöst wie jetzt: In einem Interview mit der Kulturzeitschrift „Lettre International“ kritisierte er vor einer Woche die mangelnde Integration vor allem von Türken und Arabern in der deutschen Hauptstadt, was ihm den Vorwurf des Rassismus und der Volksverhetzung eintrug. Seither wollen die Rücktrittsforderungen nicht verstummen, die öffentliche Debatte schlägt immer höhere Wellen.


Geistige Nähe zu den Nazis. Der Zentralrat der Juden wirft Sarrazin geistige Nähe zu den Nazis vor. „Ich habe den Eindruck, dass er mit seinen Äußerungen, mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler wirklich eine große Ehre macht, so wie er es formuliert“, sagt Generalsekretär Stephan Kramer. Die Aussagen Sarrazins seien perfide, infam und volksverhetzend. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fordert den Rücktritt des Bundesbankvorstands: Man könne nicht hinnehmen, dass solche Äußerungen mit beredtem Schweigen beantwortet würden. „Allah möge ihm mehr Verstand geben“, hofft der Vizechef der türkischen Zentralbank, Ibrahim Turhan.


Kleine Kopftuchmädchen. Aussagen aus dem Interview werden seit Tagen immer wieder zitiert, etwa: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“ – „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ – Große Teile der türkischen und arabischen Einwanderer, deren Anzahl durch eine falsche Politik zugenommen habe, hätten „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Berlin, so Sarrazin, sei von zwei Komponenten belastet: der 68er-Tradition und dem Westberliner Schlamp-Faktor. Der Intellekt müsse importiert werden.

Bundesbank-Chef Axel Weber hat sich „entschieden in Inhalt und Form von den diskriminierenden Äußerungen“ distanziert und beklagt den „Reputationsschaden“ für die Bundesbank. Er forderte Sarrazin auf, „mit sich selbst ins Gericht zu gehen“, was einer verklausulierten Rücktrittsforderung gleichkommt. Der Gescholtene lehnt dies jedoch ab.

Wie es am Samstag hieß, sollen ihm nun zumindest wesentliche Kompetenzen genommen werden. Ganz loswerden kann die Bundesbank ihn kaum: Die Vorstandsmitglieder werden vom Bundespräsidenten ernannt, der sie folglich auch entlassen müsste. Dies ginge nur, wenn sie die Voraussetzungen zur Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mehr erfüllen, etwa im Fall einer ernsten Krankheit oder einer schweren Verfehlung. Was als Letztere gilt, ist nicht klar definiert. Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit den Anfangsverdacht auf Volksverhetzung.

Sarrazin selbst ist inzwischen zurückgerudert. Nicht jede Formulierung sei „gelungen“ gewesen, er habe nicht beabsichtigt, „einzelne Volksgruppen zu diskreditieren. Sollte dieser Eindruck entstanden sein, bedaure ich dies sehr und entschuldige mich dafür“.


„Wirklichkeit, wie sie ist.“ Bei aller Kritik an Wortwahl und Tonfall wird in einigen Kommentaren jedoch auch inhaltliche Zustimmung laut: So schreibt etwa der jüdische Publizist Henryk M. Broder in der „Weltwoche“, dass Sarrazin die „Wirklichkeit so beschreibt, wie sie ist, und nicht, wie sie seit vielen Jahren dargestellt wird – eine multikulturelle Idylle mit kleinen Schönheitsfehlern, die durch sozialtherapeutische Maßnahmen behoben werden können“. Allenfalls könne man Sarrazin vorwerfen, dass er in seiner Analyse nicht weit genug gehe. Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert: „Es reicht nicht, diese Umstände anzuprangern und die Rückständigkeit bildungsferner Einwandererfamilien verächtlich zu machen. In wenigen Jahren wird in Berlins Innenstadtbezirken jedes zweite Kind aus einer nichtdeutschen Familie stammen ... Die Probleme wachsender städtischer Unterschichten sind im Kern nicht ethnischer, sondern sozialer Natur.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2009)

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