Eine neue Türkei für Erdoğan

Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte nach der Verfassungsänderung bis zum Jahr 2029 regieren – mit maximal zwei Amtsperioden à fünf Jahren.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte nach der Verfassungsänderung bis zum Jahr 2029 regieren – mit maximal zwei Amtsperioden à fünf Jahren. imago/Depo Photos
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Nächstes Jahr stimmt die Bevölkerung über eine Verfassungsänderung ab. Die AKP schreitet auf ihre Allmacht zu, eine Lösung des Kurdenkonflikts ist nicht in Sicht.

Wien/Ankara. Allen Protesten, Kritiken, Warnungen und Vorwürfen zum Trotz verfolgt die regierende AKP unbeirrbar das Vorhaben, die Türkei nach ihren Vorstellungen umzukrempeln. Präsident Recep Tayyip Erdoğan strebt seit geraumer Zeit eine Präsidialrepublik an, die seine Macht zementieren würde. Ausgerechnet der gescheiterte Putsch Mitte Juli 2016 gegen ihn und die AKP hat Erdoğan mit einem Mal ganz nah an sein Ziel gebracht. Den Putschversuch nannte er ein „Geschenk Gottes“, seitdem durchkämmt die Regierung das Land und entledigt sich ihrer Kritiker sowie der Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, der für den Putsch verantwortlich sein soll.

Am Freitag hat der Verfassungsausschuss die meisten Änderungen gebilligt. Dort hat die AKP die Mehrheit, dennoch lieferte sie sich heftige Wortgefechte mit der Opposition. Letztlich winkte der Ausschuss von den vorgeschlagenen 21 Artikeln 18 durch. Die wichtigsten Änderungen betreffen freilich den Status des Präsidenten, der in der derzeitigen Verfassung eine hauptsächlich repräsentative Rolle innehat: Er darf einer Partei angehören, darf seine Stellvertreter und die Minister bestimmen sowie absetzen, so auch „hohe zivile Posten“, die allerdings nicht näher ausgeführt werden. Er kann die Ministerien umstrukturieren, und über den Rat der Richter und Staatsanwälte erhält der Präsident direkten Eingriff in die Justiz. Das Amt des Premiers wird Makulatur, und der Staatschef kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen.

Demnächst kommt die Verfassungsänderung ins Parlament zur Diskussion. Zwar unterstützt die ultranationalistische MHP das Vorhaben der Regierung, aber gemeinsam kommen sie nicht auf die nötige Zweidrittelmehrheit, um die neue Verfassung im Parlament durchzubringen. Daher hat die AKP ein Referendum im Frühsommer 2017 angekündigt, sie braucht die Stimmen von mindestens 50Prozent der Wähler. Ersten Umfragen zufolge aber ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Präsidialrepublik.

Zweiparteiensystem geplant?

Immer wieder bringen Vertreter der Regierung das politische System der USA als Beispiel für ihre Pläne, wiewohl die Türkei lang nicht so dezentral wie die USA ausgerichtet ist. Aufhorchen ließ zuletzt der AKP-Berater Burhan Kuzu, der von einem Zweiparteiensystem sprach. In der künftigen Präsidialrepublik sollen nur mehr die regierende AKP sowie die oppositionelle, säkulare CHP im Parlament vertreten sein. Kuzus Ausführungen legen nahe, dass die Ultranationalisten von der AKP quasi verschluckt werden – und die prokurdische, linke HDP in den politischen Tod geschickt wird.

Die HDP ist seit ihrem Einzug in das Parlament nach der Neuwahl im November 2015 ein Stachel im Parteifleisch der AKP. Durch Erdoğans Versöhnungspolitik waren ihr lange Zeit viele kurdische Stimmen sicher, das hat sich mit der Gründung der HDP (2012) geändert. Der Bürgerkrieg in Syrien hat eine erstarkende kurdische Front hervorgebracht, parallel dazu hat die Regierung ihren Kurs gegenüber den Kurden verschärft. Vor über einem Jahr ist dieser gelöst geglaubte Konflikt wieder voll entflammt, und dafür macht die Regierung die HDP verantwortlich, die sie als verlängerten Arm der PKK sieht. Die HDP-Doppelspitze und weitere Abgeordnete sind in Haft, Hunderte Parteimitglieder müssen sich vor Gericht verantworten. Den meisten wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Während nun die PKK und ihre Splittergruppen das Land terrorisieren, lässt die AKP keine Kritik an ihrer offensichtlich fehlgeschlagenen Kurdenpolitik zu. Die Fronten sind verhärtet, das wird sich auch im nächsten Jahr kaum ändern.

Die „Säuberungspolitik“ der Regierung seit dem Putschversuch betrifft nicht nur die Kurdenvertreter. Derzeit befinden sich mehr als 41.000 Menschen in Haft, über 200.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sind suspendiert oder entlassen worden, mehr als 3800 Richter und Staatsanwälte ebenso. 155 Journalisten sind in Haft und über 190 Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Onlineplattformen wurden eingestellt. Betroffen sind nicht nur Gülen-Medien. Seit Sommer herrscht der Ausnahmezustand.

Bei allem Verständnis, den der Europarat für Maßnahmen nach dem Putschversuch einer gewählten Regierung gezeigt hat, stuft die Venedig-Kommission die Verhaftungen und Entlassungen als nicht verfassungskonform ein. Bei vielen Betroffenen habe man gar nicht nachgewiesen, ob und inwieweit sie mit dem Coup in Verbindung stehen. Für Unverständnis sorgt auch die Forderung, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen.

Fest steht seit diesem Sommer jedenfalls: Die Gülen-Bewegung ist in der Türkei zerschlagen worden. Dass es überhaupt erst die AKP war, die diese fragwürdige, islamische Sekte groß gemacht hat, darüber liest man in der nunmehr hauptsächlich regierungstreuen Medienlandschaft so gut wie nichts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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