Attentatsopfer: „Uns gibt es nur noch auf Bildern“

Gedenken an die Opfer. Vor dem Nachtclub Reina im Stadtteil Beşiktaş in Istanbul wurden nach dem Terroranschlag in der Silvesternacht mit mindestens 39 Toten Blumen hinterlegt.
Gedenken an die Opfer. Vor dem Nachtclub Reina im Stadtteil Beşiktaş in Istanbul wurden nach dem Terroranschlag in der Silvesternacht mit mindestens 39 Toten Blumen hinterlegt.(c) REUTERS (HUSEYIN ALDEMIR)
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Zwei Drittel der Toten, die der Anschlag in Istanbul gefordert hat, sind Ausländer: Studenten, ein Fitnesstrainer, ein Bollywoodproduzent.

Wien/Istanbul. Das Mahnmal vor dem exklusiven Nachtclub Reina am Bosporus, dem Treffpunkt der Istanbuler Schickeria, unterscheidet sich nicht von anderen Anschlagsorten – von Berlin, Nizza, Paris, Brüssel oder Orlando. Rote Rosen und Kerzen markieren das Andenken an die Opfer des Terrors in der Silvesternacht, und in den sozialen Netzwerken bekunden Angehörige und Freunde Trauer und Schmerz über den jähen Tod.

Nach dem gewaltsamen Ende der Silvesterfeier schickte Sezen Arseven ihrem Verlobten, Mustafa Sezgin Seymen, via Instagram einen letzten Gruß hinterher: „Keiner schaute mich so an wie du. Keiner liebte mich wie du. Uns gibt es nur noch auf Bildern. Ich habe meinen Partner, meine Liebe verloren.“

Zwei Drittel der 39 Toten stammen indessen aus dem Ausland – aus Saudiarabien, dem Libanon, Jordanien, dem Irak, Tunesien, Marokko, Israel, Indien, Frankreich, Belgien oder Deutschland. Einige von ihnen waren Doppelstaatsbürger, sie lebten in der türkischen Diaspora.

Es belegt, dass das Reina als glitzernder Partymagnet über die Region hinausgestrahlt und dass der Attentäter ein global-westliches Lebensgefühl im Visier gehabt hat.
Wie der islamische Ritus es verlangt, sind die Opfer nach ihrer Identifizierung so rasch wie möglich beigesetzt geworden – wie die Deutschtürken Mesut G. (28) und sein Freund Koray K. (25), die sich noch im Herbst auf dem Münchner Oktoberfest in der Krachledernen und mit Sepplhut in Pose geworfen haben. Zur Silvesterparty waren die beiden Bayern nach Istanbul gekommen; und wie der Sicherheitsmitarbeiter Fatih Cakmak, der noch im Dezember den Bombenanschlag vor dem Beşiktaş-Stadion überlebt hatte, wie Mustafa Seymen und 35 andere fanden sie im Reina den Tod.

Väterliche Warnung

Zaher Nasser, ein israelischer Araber aus der Stadt Tira, hatte seine 19-jährige Tochter Leanne wegen der prekären Sicherheitslage in der Türkei eindringlich vor der Reise gewarnt – vergeblich. Leanne kam ums Leben, eine Freundin wurde verletzt, zwei andere Freunde entkamen.

Haykal Mousallem, ein 35-jähriger Fitnesstrainer aus dem Libanon, kam mit seiner Frau, die er erst vor fünf Monaten geheiratet hatte, um mit ihr das neue Jahr zu feiern. Als Mitternacht vorüber war, als sie einander umarmt und zugeprostet hatten, ging er kurz auf die Toilette – und sollte nicht mehr zurückkommen. Gewissheit erhielten seine Frau und seine Freunde erst im Leichenschauhaus am Rande Istanbuls.

Als Bollywoodproduzent von Actionfilmen gehörte Abis Rivzi der kosmopolitischen Kaste Mumbais an, er entstammt einer Immobiliendynastie. Die indische Außenministerin bestätigte seinen Tod. Sie unterstützt die Familie bei deren Reisearrangements und der Überführung der Leiche.

Der 22-jährige Mustafa Jalal aus dem nordirakischen Kirkuk, hatte sich seinen Traum erfüllt: Er studierte an der Universität Istanbul, er fühlte sich wohl in der weltläufigen Bosporus-Metropole, einem Sehnsuchtsort für viele Flüchtlinge aus den Kriegswirren des Nahen Ostens. In der Nacht zum Sonntag endete Mustafas Traum. Istanbul war nicht weit genug von den Schlachtfeldern der Region entfernt, es ist im vergangenen Jahr erneut ins Fadenkreuz der Terroristen gerückt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2017)

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