An der Front des türkischen Kulturkampfes

Nirgends wird der Kampf erbitterter ausgetragen als in Istanbul.
Nirgends wird der Kampf erbitterter ausgetragen als in Istanbul.Dimitar Dilkoff/picturedesk.com
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Präsident Erdoğan und seine Anhänger wollen ihre konservativ-islamischen Wertvorstellungen der ganzen Gesellschaft aufzwingen. Ein Schlachtfeld ist die Kunst. Der Streit um eine Skulptur des Bildhauers Güneştekin ist dafür symptomatisch.

Ein freudiger Augenblick war es für Ahmet Güneştekin, als seine Plastik „Kostantiniyye“ kürzlich bei einer abendlichen Feierstunde in Istanbul enthüllt wurde. Zwar hat der international erfolgreiche Künstler schon viele Vernissagen erlebt, auch diese Plastik war schon mit Erfolg auf der Biennale in Venedig gezeigt worden, bevor ein türkischer Sammler sie kaufte und vor seinem Einkaufszentrum in Istanbul aufstellen ließ. „Es war aber das erste Mal, dass eines meiner Werke in meiner Heimat außerhalb von Galerien öffentlich ausgestellt wurde“, erzählt der Künstler. „Ich habe mich so gefreut, dass meine Landsleute meine Kunst zu sehen bekommen.“

Doch die Begegnung verlief nicht so, wie Güneştekin sich das erhofft hatte. Binnen Stunden nach der Enthüllung wurde die Skulptur von einem wütenden Mob angegriffen, das Einkaufszentrum mit Beschwerden und Drohungen überhäuft. Das Ordnungsamt verhüllte das Kunstwerk schließlich mit einer schwarzen Plane, noch in der Nacht musste Güneştekin die Plastik unter Polizeischutz wieder abbauen. „Kostantiniyye“ wurde zu einem weiteren Opfer in einem Kulturkampf um die ideologische Hegemonie über die türkische Gesellschaft, die derzeit auf vielen Schlachtfeldern ausgetragen wird – und nirgends erbitterter als in Istanbul.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird von seinen Anhängern nicht zuletzt deshalb als Heilsbringer verehrt, weil er die lange vom strikt säkularistischen System unterdrückte fromm-muslimische Mehrheit von ihren Fesseln befreite: Erdoğan hat den türkischen Muslimen ein neues Selbstvertrauen geschenkt. Doch er hat nicht verhindern können oder wollen, dass dieses Selbstvertrauen in Rachsucht, Engstirnigkeit und Feindseligkeit gegen Andersdenkende umgeschlagen ist.

Gefährliches Klima. Erdoğans Versuche, die konservativ-islamischen Wertvorstellungen seiner Anhängerschaft zu allgemeingültigen Regeln zu erheben, haben nicht nur Minderheiten und das westliche Ausland erschreckt. Sie haben auch einem gesellschaftlichen Klima Vorschub geleistet, das Pluralität nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung und als untürkisch begreift.

Erst auf der Contemporary Istanbul im November hatte es einen ähnlichen Konflikt gegeben wie im Fall von Güneştekin: Nationalistische Demonstranten stürmten die Ausstellung für moderne Kunst und forderten, eine Skulptur des Künstlers Ali Elmaci müsse entfernt werden, weil diese das Porträt eines osmanischen Sultans auf dem Badeanzug einer Frauenfigur zeigte. Veranstalter und Künstler mussten sich beugen, als die Demonstranten darauf hinwiesen, dass die Polizei sich auf ihre Seite stellen würde.

Und schon wochenlang vor dem Terroranschlag auf den Istanbuler Nachtclub Reina in der Neujahrsnacht agitierten islamisch-nationalistische Gruppen in Istanbul gegen das angeblich untürkische Neujahrsfest – auch das mit impliziter Unterstützung der Behörden, die sich in Schulen und Moscheen gegen Silvesterfeiern wandten. In Istanbul zeigte ein Plakat eines Nationalistenverbandes einen Mann im osmanischen Fez, der dem Nikolaus mit der Faust ins Gesicht schlägt. „Wir sind Moslems – nein zu Weihnachten und Neujahr“, hieß es dazu. Westliche und erst recht christliche Bräuche seien der Türkei fremd, argumentieren diese Gruppierungen – in offensichtlicher Unkenntnis der Tatsache, dass Nikolaus aus Anatolien stammte und Istanbul noch vor 100 Jahren zur Hälfte von Christen bevölkert war.

Ironischerweise ist es die weltoffene und tolerante Geschichte der Stadt, die Ahmet Güneştekin mit „Kostantiniyye“ würdigte. Monatelang war das Kunstwerk in Venedig ausgestellt, wo es enthusiastisch besprochen wurde – eine fünf Meter hohe Plastik, die mit bunten Buchstaben und Symbolen aus bemaltem Metall besetzt ist. Die vielen historischen Namen der sechs Jahrtausende alten Stadt sind darin verarbeitet: Byzanz, Ostrom, Konstantinopel, Neurom, Istanbul: All diese Schriftzüge setzen sich mit den Silhouetten der berühmten Kirchen, Synagogen und Moscheen von Istanbul zusammen zu dreizehn riesigen Lettern, die das Wort Kostantiniyye buchstabieren – den Namen, den die Stadt im Osmanischen Reich trug.

Eskalation. Eine arabisierte Fassung des griechischen Namens Konstantinopel war das, und sie stand 600 Jahre lang auf allen Dokumenten und Münzen der Osmanen. Doch das ist zu kompliziert für türkische Nationalisten, die sich zwar stolz auf das osmanische Erbe berufen, aber nicht viel mehr davon wissen, als dass der osmanische Sultan Fatih die Stadt im Jahr 1453 eroberte. Den osmanischen Namen ihrer Stadt kannten die wütenden Demonstranten jedenfalls nicht, die nach der Enthüllung vor dem Einkaufszentrum zusammenliefen und gegen den vermeintlich griechischen Schriftzug protestierten. „Wir haben das byzantinische Reich 1453 besiegt, was soll das denn? Ihr wollt wohl Byzanz wieder aufleben lassen!“, rief ein Demonstrant. „Unser Vorfahre Sultan Fatih hat euch 1453 fertiggemacht – wenn ihr noch einmal verhauen werden wollt, dann besorgen wir das gern“, schrie ein anderer.

Die Lage eskalierte binnen weniger Stunden gefährlich, vor allem, nachdem ein islamistischer Fernsehjournalist mit einem Tweet Tausende Anhänger mobilisierte. „Wir sind mit Beschwerden in unfassbaren Mengen überhäuft worden, auf jeden Fall über tausend“, berichtet der Direktor des Einkaufszentrums. „Hier ist Istanbul und nicht Byzanz, hieß es da – und noch viel unschönere Sachen. Schließlich sind die Stadtverwaltung und das Ordnungsamt aufgetaucht.“ Doch das Ordnungsamt kam nicht etwa, um die Menge zu zerstreuen, sondern, um die Skulptur mit einer Plane abzudecken: Sie stelle ein öffentliches Ärgernis dar, erklärten die Beamten dem überraschten Künstler.

Den Demonstranten war das nicht genug. „Sie drohten: Entweder kommt die Plastik weg, oder wir brennen das Einkaufszentrum nieder“, erzählt Güneştekin. „Die Polizei ist nicht gegen diese Drohungen eingeschritten, und der Direktor des Einkaufszentrums bekam Angst um die 4000 Angestellten, die dort arbeiten.“ Deshalb lenkte Güneştekin schließlich ein. Die Skulptur ist nun in Kisten verpackt und eingelagert – sie wird das Tageslicht in der Türkei wohl nicht mehr erblicken.

Unkenntnis.
Ahmet Güneştekin ist verbittert. „Die Ignoranz dieser Leute!“, klagt der Künstler. „Sie nennen sich die Enkel von Sultan Fatih, dem Eroberer, und dabei war es doch Fatih, der die Stadt Kostantiniyye nannte!“ Das wissen sogar die Salafisten des sogenannten Islamischen Staates (IS), deren türkisches Magazin ebenfalls „Kostantiniyye“ heißt – eine Kampfansage an die moderne türkische Republik, deren Staatsgründer Atatürk die Stadt in den 1930er-Jahren umbenannte in Istanbul. Im Islam gebe es zudem eine Überlieferung des Propheten Mohammed, in der dieser die Stadt ebenfalls Kostantiniyye nennt, sagt Güneştekin: „Die kennen ihren eigenen Glauben nicht!“

Schwer fassbar ist das gerade für Ahmet Güneştekin, dessen Kunst sich kenntnisreich mit der Kulturgeschichte der Türkei auseinandersetzt. Auf die assyrischen, kurdischen, armenischen und griechischen Wurzeln der anatolischen Kultur bezieht sich der Maler in großformatigen Werken; christliche, jüdische, moslemische und jesidische Motive ziehen sich durch seine Kunst. International genießt der kurdische Künstler aus dem Südosten der Türkei große Anerkennung, ist bei namhaften Galerien in den USA und einem halben Dutzend europäischen Ländern unter Vertrag – seine neueste Ausstellung eröffnet am 11. Jänner in New York.

Ohne Schutz. In der Türkei erfährt Güneştekin dagegen keine Solidarität. Vergeblich habe er sich an das Kulturministerium gewandt, berichtet er: „Der Staat müsste doch einschreiten und die Sicherheit der Plastik garantieren“ – sowohl um die Freiheit der Kunst zu schützen als auch das Privateigentum, denn die Skulptur stand schließlich auf privatem Grund. Doch das Ministerium schritt ebenso wenig ein wie die Polizei.

Auch die türkische Kunstwelt hat den Künstler im Regen stehen lassen. An alle Kunst- und Kulturverbände im Land habe er appelliert, doch keiner sei ihm öffentlich zur Hilfe gekommen, klagt Güneştekin. Unter der Hand drückten einige zwar ihr Bedauern aus. Die Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) etwa, eine der führenden Institutionen der türkischen Kunstwelt, schickte ihm ein Beileidsschreiben. „Ich habe ihnen geantwortet, statt Beileids hätte ich gern eine öffentliche Verurteilung dieses Angriffs“, erzählt der Künstler. „Darauf kam die Antwort: ,Wenn wir jede Zensur der Kunst in der Türkei verurteilen sollten, dann kämen wir nicht mehr nach.‘“ Die IKSV wollte sich auf Anfrage nicht zum Fall äußern.

Es herrsche eine wahnsinnige Angst, aber auch viel Duckmäuserei und Mitläufertum. „Jeder hält sich bedeckt und wartet ab, was der Staat sagt.“ Angewidert sei er von dieser „faschistischen Gesinnung“, sagt der Künstler. „Ich fühle mich so allein und einsam, dass ich keinen Sinn mehr darin sehe, in der Türkei zu bleiben.“ Güneştekin reist nun erst einmal in die USA, um seine Ausstellung zu eröffnen.

Steckbrief

Ahmet Güneştekin,Jahrgang 1966, ist kurdischer Herkunft und stammt aus dem Südosten der Türkei. Der Maler und Bildhauer entdeckte schon als Kind seine Leidenschaft für die Kunst. Seine erste eigene Bilderausstellung eröffnete er mit 16 Jahren.

Seine Kunst setzt sich mit der Kulturgeschichte der Türkei auseinander. International genießt er große Anerkennung. Er ist bei großen Galerien in den USA und Europa unter Vertrag. Seine nächste Ausstellung eröffnet er am 11. Jänner in New York. ?Masumelmas Wikimedia Commons

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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