Wie Generäle die Türkei manipulieren

(c) AP (Burhan Ozbilici)
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Die türkische Armee wollte die Öffentlichkeit mit Propagandafilmen beeinflussen. Die Armee sieht sich seit Atatürks Zeiten als Hüterin des säkularen Staates.

ISTANBUL. Die türkische Armee war einst unantastbar. Jetzt gerät sie immer stärker in Verruf. Das Militär wälzte offenbar Pläne für politische Manipulationen. Das belegen anonyme Briefe, die in der Öffentlichkeit kursieren. Dem dritten Schreiben dieser Art, das an die Staatsanwaltschaft, das Amt des Premiers und an Oppositionsparteien verschickt wurde, war eine CD beigefügt, die Propagandamethoden des Militärs enthüllt, darunter den Plan zu zwei Filmen.

Für ihre Filmprojekte wollten die Militärs einen angesehenen Regisseur finden, mögliche Namen wie Fatih Akin werden genannt. Die Filme sollten auf verdecktem Wege finanziell gefördert werden. Auch die Vermarktung war generalstabsmäßig durchdacht: Vor dem Filmstart sollten Interviews mit dem Regisseur ihren Weg in die Medien finden. Selbst über die Filmmusik haben sich die Offiziere Gedanken gemacht.

Während die uniformierten Spin-Doktoren in diesen Punkten einige Kreativität entfalten, wirkt das cineastische Szenario dann doch etwas hölzern. Der eine Film sollte die Opferbereitschaft türkischer Soldaten und ihrer Familien im Kampf gegen die PKK verherrlichen. Zu den Szenen gehört eine Diskussion mit dem Vater eines „Terroristen“. Und Soldaten geraten in einen Hinterhalt der PKK, während sie gerade eine Moschee restaurieren.

Der zweite Film sollte zeigen, dass die Armee nicht gegen die Religion sei, sondern gegen diejenigen, die die Religion aus finanziellen Gründen missbrauchen. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau mit Kopftuch, deren Bruder ein Unterfeldwebel ist und die über ihre Arbeit Verbindung zu reaktionären Islamisten bekommt.

Bestellte Meinungsumfragen

Die Filme machen nur einen Teil der „Öffentlichkeitsarbeit“ der Generäle aus. Es sollte auch ein offener Brief einer jungen Frau in Umlauf gebracht werden, die um Hilfe bittet, weil sie von ihrer Umgebung gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen. Dieses Schreiben sollte an die berühmte Kolumne „Güzin Abla“ (Große Schwester Güzin) in der Zeitung Hürriyet gehen.

Der Erfolg der Maßnahmen war ebenfalls geplant: In einer bestellten Meinungsumfrage sollten 93 Prozent der Türken erklären, dass sie der Armee am meisten vertrauen.

Die Frage drängt sich auf, ob die Militärs nicht seit Jahren die öffentliche Meinung manipulieren. Während dies wahrscheinlich die Realität ist, fällt es doch schwer, daran zu glauben, dass nun plötzlich nur von ihrem Gewissen getriebene Offiziere anonyme Briefe schreiben, um dies aufzudecken. Hinter den drei Briefen steckt zu deutlich eine gut durchdachte Strategie.

Der erste Brief enthielt Angaben über einen Plan zur Destabilisierung der islamisch-konservativen Regierung von Premier Recep Tayyip Erdo?an, aber keine Beweise. Daher fiel es Generalstabschef ?lker Ba?bu? leicht, alles abzustreiten. Das unterschriebene Original des Plans steckte im zweiten Brief zusammen mit detaillierten Angaben über Vertuschungsversuche innerhalb der Streitkräfte. Der dritte Brief, angeblich von einem anderen Offizier geschickt, sorgt nun dafür, dass das Thema mit mehr und bunteren Details in den Medien bleibt.

Erdo?ans strategische Meister

Es sieht daher eher so aus, als hätten die Strategen der öffentlichen Meinung irgendwo im Staatsapparat ihre Meister gefunden, die ihnen mit Geheimdienstmethoden auf die Schliche kommen und ihr Wissen geschickt einsetzen. Dies mag der Entmilitarisierung der türkischen Gesellschaft dienen. Ob es ihrer Demokratisierung dient, ist nicht ganz so sicher.

AUF EINEN BLICK

Die türkische Armee betrachtet sich seit Atatürks Zeiten als Hüterin des säkularen Staates. Um das Meinungsbild zu beeinflussen, wollte sie nicht nur Umfragen, sondern auch Filme bestellen. Doch nun schlägt der Apparat der islamisch-konservativen Regierungspartei zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2009)

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