Namibia: Eine Partei zittert vor den Jungwählern

(c) AP (Alwynvan Zyl)
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20 Jahre nach der Unabhängigkeit können Bürger überfällige Wende einleiten. Erstmals stimmen 200.000 Jungwähler ab, die erst nach der Unabhängigkeit geboren wurden.

WINDHOEK. Das unabhängige Namibia ist so alt wie das vereinte Deutschland. Mitten in die von der UNO organisierten Novemberwahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung platzte damals die Nachricht vom Fall der Berliner Mauer. Als vier Monate später, am 21. März 1990, im Unabhängigkeitsstadion in Windhoek die neue namibische Flagge gehisst wurde, endete nicht nur ein Jahrhundert fremder Vorherrschaft.

Die bis dahin sozialistisch orientierte „South West Africa Peoples Organisation“ (Swapo) hatte auch ihre wichtigsten Steigbügelhalter, nämlich Erich Honecker und Nicolae Ceausescu, verloren. Unmittelbare Folge daraus war ein modernes, liberales Grundgesetz, das nur einmal verändert werden musste: Altpräsident Sam Nujoma bestand 1998 auf einer dritten Amtszeit.

Mit Interesse wird an diesem Wochenende der Ausgang der fünften Parlamentswahl erwartet. Denn erstens bekommt die von Präsident Pohamba geführte Regierungspartei Swapo Konkurrenz von der Splitterpartei „Rally for Democracy and Progress“ (RDP); zweitens stimmen erstmals 200.000 Jungwähler ab, die erst nach der Unabhängigkeit geboren wurden.

Durchwachsene Regierungsbilanz

Die „born frees“ stellen immerhin jeden fünften Wähler. Sie könnten der Regierung ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Denn obwohl das dünn besiedelte Namibia – auf einer Fläche so groß wie Frankreich und Italien verteilen sich bloß zwei Millionen Menschen – von gewaltsamen Konflikten verschont geblieben ist, liegt vieles in der früheren wilhelminischen Kolonie, die ab 1915 von Südafrika verwaltet wurde, im Argen.

Trotz stetigen Wirtschaftswachstums verfügen auch weiterhin etwa 40 Prozent aller arbeitsfähigen Namibier über kein geregeltes Einkommen. Besonders im Norden, unter den Ovambo und den Caprivianern, leben viele von der Hand in den Mund.

Die Armut ist in den elenden Townships der Städte weiterhin deutlich zu sehen: Zwei von drei Namibiern leben in menschenunwürdigen Unterkünften. Wie in Simbabwe und im benachbarten Südafrika ist auch in Namibia seit Jahren von Landreform die Rede. Zwar hat die Regierung eine Reihe von Farmen, die im Besitz weißer Bauern waren, aufgekauft. Aber von einer produktiven Bewirtschaftung durch schwarze Kleinbauern ist wenig zu sehen.

Ohnehin ist fruchtbarer Boden in dem Wüstenland rar. Insgesamt, bemängelt der Politologe André du Pisani, hapert es in der Wirtschaft gewaltig an lokaler Wertschöpfung und Eigentumsbeteiligung. Bergbau und Tourismus sind die einzigen nennenswerten Devisenbringer.

Weiße Mittelklasse als Rückgrat

Der winzigen Minderheit deutschstämmiger Namibier, die mit 22.000 Menschen nur ein Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, ist es seit der Unabhängigkeit überwiegend gut ergangen. Der staatliche Rundfunk sendet nach wie vor neun Stunden täglich landesweit in deutscher Sprache. Da kann der 80-jährige Sam Nujoma auf „westliche Imperialisten und Kolonialisten“ schimpfen, wie er will: Die weiße Mittelklasse Namibias ist nach wie vor das wirtschaftliche Rückgrat des Landes. Würde man sie vertreiben, würde dem Land möglicherweise ein ähnlicher Abstieg drohen wie Simbabwe.

Die Frage bleibt, wie die Regierungspartei auf einen empfindlichen Stimmenverlust reagieren würde. Derzeit stellt die Swapo noch über 70 Prozent aller Abgeordneten, aber Beobachter halten einen Rückgang unter die wichtige Zweidrittelgrenze für möglich, wenn es der Opposition gelänge, genügend Jungwähler davon zu überzeugen, dass weitere fünf Jahre unter der Swapo nur mehr Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption bedeuten würden.

Ähnlich wie die Befreiungsbewegungen in Südafrika, Angola und Mozambique, versteht sich auch die Swapo als natürliche Herrschaftspartei. Professor Pisani spricht in diesem Zusammenhang von einer „Demokratie ohne Demokraten“.

AUF EINEN BLICK

Parlamentswahl in Namibia. Am Freitag und Samstag wird in der ehemaligen deutschen Kolonie (1884–1915) ein neues Parlament gewählt. Stimmberechtigt sind rund 1,1 Millionen Menschen, darunter 200.000 Jungwähler. Ihre Stimmen könnten die regierende „South West Africa Peoples Organisation“ (Swapo), deren Chef der Staatspräsident Hifikepunye Pohamba ist, unter Druck setzen. Härtester Konkurrent für die Swapo ist die „Rally for Democracy and Progress“ (RDP).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2009)

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